Langsam aber sicher, wie heiße Lava

Der Betreiber des Imbiss in der Nähe des Rosenthaler Platzes, in dem ich früher oft Snacks auf die Hand  gekauft habe und jetzt wirklich lange nicht mehr dort war – nicht, weil sein Angebot schlecht ist, sondern weil sich meine Lebensumstände geändert haben – fragt mich, wie es mir geht und erzählt, er sei mit seinem Geschäft nur noch bis Mitte nächsten Jahres hier. Er ist jetzt seit 13 Jahren hier, sein Mietvertrag laufe aus, und der neue Eigentümer habe ihm zwar eine Verlängerung in Aussicht gestellt, allerdings nur für 3000 Euro Miete mehr. Das Internet-Café nebenan, das mal zum Imbiss gehörte, hat er schon länger nicht mehr. Das braucht am Rosenthaler in 2014 auch kein Mensch mehr. Ein Szene-Stehimbiss ist dort eingezogen. Schade, da geht wieder ein Guter. Vom Stil her passt der Laden allerdings auch eher nach Neukölln. Hier in Mitte, Grenze Prenzlbg. fand ich ihn immer bereichernd, nicht der Einrichtung wegen, aber wegen des netten Betreibers .

Wie heiße Lava breitet sie sich langsam aus, die Gentrifizierung, die ich auch manchmal befürwortet habe. Kommt langsam aber sicher und breitet sich flächendeckend aus. Unser Haus wird sie nicht erreichen, da muss ich mir keine Gedanken machen, darüber sind wir uns einig. Wir sind Insel, trotz Edelgrundstück eines der letzten unsanierten Häuser. Nur Insel ist eben Insel – wo soll ich dann meinen Spätkauf-Schnickschnack, die Flasche Bier und den kleinen Snack zwischendurch kaufen? In der Bio-Company mit angegliedertem Edel-Spätkauf?

Die zweite Frage ist natürlich: Was und wer kommt kommt danach in dieses Ladenlokal? Vielleicht Sie? Als Gattin eines gut verdienenden Managers, die sich mit dem drölfzigsten Café für mediterrane Spezialitäten als Steuerabschreibeobjekt selbständig macht oder als alterndes blondes Marketing-Girl, dass sich den Traum vom Designer-Label mit einer eigenen T-Shirt-Kollektion erfüllt und Shirts vegan und im Kartoffeldruck bedruckt? Bitte nicht.

Oder ziehen Sie dort ein als jemand, der es sich leisten kann, dort einen Schnickschnack-hach-ist-ja-alles-Kunst-Laden zu eröffnen, eine veritable Miete zu zahlen und Ihr westdeutsches Erbe so zu vernichten? Bitte, tun Sie das meinetwegen, nur woanders. Wir haben hier schon genug von diesen Läden.

 

 

Brunnenstraße

Warenhaus_Jandorf_Brunnenstrasse_1904

Gerade sitze ich in der Konditorei →Du Bonheur an der Berliner Brunnenstraße, genauer gesagt im Teil der Brunnenstraße zwischen dem ehemaligen Modeinstitut der DDR (vormals Kaufhaus Jandorf) und der Berliner Mauer, also zwischen Kreuzung Invalidenstraße und Kreuzung Bernauer Straße. Ziemlich oft bin ich hier unterwegs. Zwar ist die U-Bahn Rosenthaler Platz näher zur Wohnung an der →Barnimkante, jedoch erscheint der Weg vom Rosenthaler Platz bergauf die Veteranenstraße empor mental beschwerlicher als die locker und schnellen Schrittes zu beschreitende Strecke von der U-Bahn Bernauer Straße zur Wohnung, ein Stück die Brunnenstraße entlang.

»Brunnenstraße«, das ist so ein Feld-, Wald- und Wiesen-Straßenname, den es eben neben der Feldstraße, Waldstraße und Wiesenstraße in fast jeder Gemeinde gibt. Umso erstaunlicher ist es, dass es in Berlin nur eine einzige Brunnenstraße gibt, wo doch viele Straßennamen durch Eingemeindungen doppelt vorkommen. Nein, es gibt sie nur einmal, die Brunnenstraße. Sie ist eine besondere Straße, die jeder Berliner kennt und von der es zu Mauerzeiten einen Ost-Teil und einen West-Teil gab. Die Mauer durchschnitt diese Verkehrsader direkt. So wird beim Wort »Brunnenstraße« heute noch schnell klar, ob jemand im Osten oder im Westen Berlins aufgewachsen ist – der viel zitierte Ossi-Wessi-Unterschied also. Spricht man beiläufig von der Brunnenstraße, so assoziieren die im Osten aufgewachsenen oft damit den Bereich zwischen Rosenthaler Platz und Bernauer Straße, während die zu Mauerzeiten im Westen aufgewachsenen meist die Gegend um den Gesundbrunnen meinen.

Nun, der West-Teil der Brunnenstraße ist nicht meins. Hochhausbebauung der sechziger und siebziger Jahre, heute mit Quartiersmanagement und der dazu passenden Bewohnerschaft. Kein Hauch von Gentrifizierung, zu der ich so eine Art Hassliebe haben, mag ich es doch heute etwas gediegener und trinke lieber Champagner als Faber Sekt, so es denn irgendwie geht. Den Ost-Teil der Brunnenstraße beobachte ich nun schon ziemlich lange. Ich kenne dieses kurze Stück zwischen Rosenthaler Platz und Bernauer Straße schon seit 1997, seitdem ich in Berlin bin. Ziemlich vergammelt war es hier vor 16 Jahren noch. Nicht verwunderlich, war das Stück zwischen Invalidenstraße und Bernauer doch eine Sackgasse, abgeschnitten durch die Mauer.

Anders als Kollwitzplatz und Kastanienallee war die Brunnenstraße auch 2005 noch, in dem Jahr, in dem ich am Zionskirchplatz die Wohnung bezog, eine ziemlich vergammelte Durchgangsstraße. Aus dem Wedding fuhr man leicht bergab mit dem Fernsehturm im Blick vom Schlicht-Wohngebiet der späten 60er in die Ost-Straße mit mehr oder minder rekonstruierten Altbauten, Hinterhöfen und hier und da mal Einzelhandel, nicht der feinsten Art. Rasant hat sich dieser Teil in den letzten Jahren gewandelt. Gentrifizierung. Mit Verknappung der Grundstücke in Mitte auch hier, an der Durchgangsstraße. Cafés ziehen ein, so wie diese Patisserie, in der ich gerade sitze und von der die Berliner Zeitung schreibt, sie hätte →Pariser Niveau. Vielleicht ganz treffend, diese Formulierung. Schön und gediegen ist es hier, das Glas Champagner nicht weit. Publikum mit Hipster- und Medien-Faktor, zu dem ich ja durchaus dazu gehöre. Ok, bei mir nur der Medien-Faktor, aber schon lange. Und für später zu Hause die Qual der Wahl: Birnen-Schokoladen-Tarte, Paris-Brest, Tarte Citron, Dulcey, Ribisel Tarte, Millefeuille, Mont Blanc, Nadja oder Eclair Chocolat? Ich nehme das Eclair Chocolat. Schön, er macht sich also, dieser Teil der Brunnenstraße, die mehr und ältere Geschichte hat, als von der Mauer durchschnitten zu sein.

Das Buch zur Straße

Es gibt ein Buch darüber, in dem man vieles über diese Straße lesen kann. Die einzelnen Kapitel gibt es auch direkt online zu lesen. Mich interessieren diese Einzelheiten, weil es um die unmittelbare Nachbarschaft geht. Allerlei interessantes lese ich dort. Z.B., dass der junge Moses Mendelssohn in 1743 als Jude nur durch das Rosenthaler Tor in die Stadt einreisen durfte. In etwa dort, wo heute der Rosenthaler Platz ist – die Stadtgrenze verlief ungefähr entlang der heutigen Torstraße, die es freilich erst viel später gab. Berlin-Historie abseits der Wilhelms und Friedrichs.

Einiges weiteres lässt sich noch im Internet über die Brunnenstraße finden, z.B. über das Kaufhaus Jandorf an der Kreuzung Brunnen-, Veteranen-, Invalidenstraße, in dem das spätere Modeinstitut der DDR (Haus der Mode) untergebracht war oder über das lange besetzte Haus Nummer 183, über das ich im letzen Sommer schon schrieb.

Hier eine kleine Link-Sammlung:

Wikipedia

Kauperts Straßenführer durch Berlin

Contemporary Art – Kunst und Galerien

Kaufhaus Jandorf (Warenhaus am Weinberg)

Modeinstitut der DDR (Haus der Mode)

Quartiersmanagement des West-Teils der Brunnenstraße im Wedding

Brunnenstraße 183

Das Buch zur Straße

 

 

Digitaler Barock

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KOHLENLAGERPLATZ – GENTRIFIZIERT – THE HOUSE

Gestern kam ich durch die Anklamer Straße und vor dem Eckhaus zur Fehrbelliner (dort, wo früher ein Sonnenstudio im Erdgeschoß war und heute die Ergotherapie-Praxis ist) stand ein schwarz-weißer Kubus am Straßenrand. Ein Würfel, der in etwa zwei bis drei Parkplätze beansprucht, so in der Form eines aufgehübschten Baucontainers. Kunst, oder Event, dachte ich zuerst. Das wäre hier nicht ungewöhnlich. Bei näherem Hinsehen sah ich dann, dass »Natulis« dran stand. Aha, hier wird gebaut, war mein erster Gedanke. Natulis ist nämlich ein Bauträger und hat vor kurzem die Veteranenstraße 20 gebaut, direkt neben dem Acud-Kino. Damals stand so ein Container mit permanenter Maklerbesatzung dort an der Veteranenstraße.

Diese – zweifellos nicht unschicke – Maklerbude soll hier das Projekt »The House« promoten und vermarkten. Gegenüber war bis vor kurzer Zeit der Kohlenhändler Peter Hantke. Auf einem kleinen, fast dreieckigen Grundstück, begrenzt durch drei Brandmauern und die Straßenfront. Über Relikte und Anachronismen wird ja immer gerne geschrieben, so auch über den Kohlenhandel. Lesen sie dazu im Archiv der Prenzlauerberg Nachrichten, der Berliner Zeitung, bei Kirsten Küppers, im Freitag oder bei Qype. Jetzt ist er weg, der Kohlenhandel. Der Bürgersteig ist sauber. Und da man in Mitte ja jede noch so kleine, irgendwie bebaubare Lücke ausnutzt, um sie mit komfortablen und hochpreisigen Eigentumswohnungen zu bebauen, entsteht hier das Projekt mit dem einfallsreichen Namen »The House« – Gentrifizierung eben. Ok, der unaufgeräumte Kohlenplatz passte nicht mehr in diese inzwischen ansehnlich fein gewordene Straße. Eine andere sinnvolle Nutzung für ein Grundstück mit drei Brandmauern? Gibt es nicht wirklich. Also doch bebauen, meinetwegen auch mit »The House«.

Interessant finde ich bei diesen Bauprojekten, die nun mal nicht eine erste Lage haben, sondern auf Lückengrundstücken erfolgen, immer diese ausgesprochen blumigen Beschreibungen und Ideen der Aufwertung.

Fliegerbombenlücke, nicht besonders groß, in den letzten 20 Jahren Kohlenplatz, bis zum 2. Obergeschoss dreiseitig mit Brandmauern umschlossen. Was soll man tun, damit das hochpreisig verkaufbar wird? Bei »The House« hat man einen Künstler beauftragt, macht das Projekt zum Kunstwerk. Digitaler Barock heißt das dann. Näheres können Sie auf der Projektseite beim Vermarkter lesen.

Ob ich nun in diesem Kunstwerk leben möchte? Ok, im 4., 5., 6.OG sicher, da verspricht Licht und Sonne hin zu kommen. Mit Sicherheit möchte ich jedoch nicht das Kind in der Schaukel aus der Promo-3D-Animation sein, im Mini-Lichtschacht-Hof, von Mauern umgeben. Da hilft auch künstlerische Wandgestaltung nicht.

Schauen wir mal, wie das so anläuft in der Anklamer Straße. Das Quartier hier wird sicher wieder etwas aufgewertet, und wahrscheinlich finden sich auch Käufer für Wohnungen im Erdgeschoss oder im 1.OG die, trotz raumhoher Fenster immer noch relativ dunkel bleiben. Klar, das kann man sich hell reden. Vermarktet wird das Projekt von Ziegert, sicher eine der angenehmeren Maklerfirmen der Hauptstadt, werden Sie dort wohl nicht auf Mitarbeiter mit schmieriger Makler-Attitüde in knittrigen H&M-Anzügen mit Schuppen auf dem Kragen treffen. Und in gewissen Preisklassen spielt der Preis doch eigentlich keine Rolle. Man erwirbt schließlich Kunst…