Reisen

Palast-Hopping 2014

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Miz Kitty reist mit dem Grafen 2014

Palast-Hopping im Polnischen

Wie schon in den letzten zwei Jahren hoppen wir in diesem Sommer wieder zwischen Palästen und Herrenhäusern. Ein Jagdschloss ist dieses Mal garantiert auch dabei. Sie wissen schon, das, das letztes Jahr im Bau war. Wir sind wieder in Polen unterwegs. Warum? Weil uns das Land gefällt, die Menschen freundlich sind und wir hier etwas fürstlich in den Palästen wohnen und übernachten können, zu einem Preis, für den man in Deutschland gerade mal ein mittelmäßiges Hotelzimmer bekommt.

Dieses Jahr fällt die Reise etwas kürzer aus und alle Stationen haben wir vorgebucht. Jeden zweiten Tag ziehen wir weiter und haben dazwischen immer einen angenehme Zeit. Vorgestern ging es also per Autobahn Richtung Polen und unsere ersten beiden Stationen liegen in der Nähe von Posnan/Posen.

 

Gesellschaft · Reisen

Ein wunderschönes Land

Deutschland

Kitty nimmt im Moment an einem Workshop im fernen Sizilien teil, und wie es oft ist bei Veranstaltungen mit kleinem, internationalem Teilnehmerkreis, sollte jeder eine Vorstellung seines Landes vorbereiten, inklusive landestypischer Dinge. Was ist also typisch für dieses Land? Was ist typisch deutsch? Diese Frage ließ mich in den letzten Tagen nicht los, denn es ist sicher mehr als preußische Pünktlichkeit, Ordnung und Disziplin. Und sicher auch mehr als das eigentümliche Pumpernickel-Schwarzbrot, Rostbratwürste, Gartenzwerge und Heidelberger Fachwerkhäuser.

Was zeichnet also dieses Land aus?

Persönlich gesehen und jenseits wissenschaftlicher Forschungen und Abzählbarkeiten, nicht unique, aber doch typisch:

Es ist ein wunderschönes Land.

Hier ist das Klima angenehm, und es ist weder bitterkalt noch pappheiß. Wobei, der Winter könnte etwas milder und kürzer sein. Spanischer Winter und deutscher Sommer, das wäre meine Idealkombination. Gesamt betrachtet, ist es jedoch klimatisch recht angenehm in Deutschland und weder im Sommer noch im Winter sind so extrem, dass die Vegetation uninspirierend karg bleibt. Sommerhitze und Winterkälte reduzieren die Kreativität und Inspiration der Menschen in diesem Land nicht – so wie es zum Beispiel in Sibirien oder in Teilen von Afrika leider der Fall ist.

Freundliche, gut ausgebildete Menschen leben in diesem Land, das sich immerhin gute 1500 km von Nord nach Süd zieht und damit gar nicht so klein ist. Menschen mit regional sehr abwechselnden Mentalitäten, so dass man manchmal den Eindruck hat, die größte Gemeinsamkeit sei die Sprache. Etwas typisch Deutsches zu finden, macht das nicht einfacher.

Dieses Land hat wunderschöne Landschaften. In der Vielfalt und Unterschiedlichkeit so schön wie wohl kaum ein anderes Land. Ähnlich unterschiedlich und abwechslungsreich sind sie wie die Mentalitäten der Menschen zwischen Schleswig-Holstein und Oberbayern.

Inspiration pur. Wenn sich Menschen irgendwo gut entwickeln können, dann ist es sicher in einem landschaftlich so aufgestellten Land wie Deutschland. Gut, Norditalien ist klimatisch und landschaftlich noch etwas besser. Sicher sind es Klima und Landschaft, die die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung nach vielen Rückschlägen, Kriegen, etc. in Deutschland immer wieder schnell in Gang brachten und damit ursächlich für den Stand dieses Landes in der Welt sind. Ein begnadeter Ort auf diesem Planeten.

Rechtssicherheit und eine geringe Kriminalität gibt es in diesem Land. Nicht immer, aber meistens – und immer mit dem Anspruch, dass es so sein sollte. Jedem Staatsbürger stehen die gleichen Rechte zu, die er nicht per Korruption oder Zugehörigkeit zu einem Netzwerk durchsetzen muss – oder es eben auch gar nicht könnte, weil irgendwem die Nase nicht passt. Gewiss, Filz und Bestechung gibt es auch hier in Randbereichen, es sind jedoch keine alltagsbestimmenden Faktoren, genauso wie es die ständige Angst, überfallen oder ermordet zu werden, hier nicht gibt. Viele Regelungen gibt es, mit denen Alltags-Lebensrisiken erfolgreich minimiert werden. Baubehörden achten beispielsweise darauf, dass keinem das Dach auf den Kopf fällt und nicht leichtfertig so gebaut wird, dass Häuser zusammenbrechen. All das gibt es ja andernorts.

Man kann das Leben in diesem Land ziemlich unbeschwert genießen. Es scheint also ein Paradies zu sein, dieses Deutschland. Dort, wo man wohnen möchte. – Das möchten tatsächlich viele, die aus Ländern kommen, in denen es nicht diese schönen Zustände gibt.

Trotzdem gibt es hier einen Teil der Menschen, deren Dauerthema es ist, zu verkünden, was alles im Rest der Welt besser funktioniert als gerade hier im eigenen Land. Alles wird dort als besser erklärt, praktischer, offener, freier, toleranter, unbürokratischer und weniger autoritär,… Vor allem in meiner Generation, der 40- bis 50-Jährigen immer noch ein recht verbreiteter Tenor, je linker, je öfter. Die jungen Leute scheinen da wieder etwas anders zu ticken. Ich fand diese Anti-Haltung immer suspekt. Zumindest ist sie jedoch ein Teil der typisch deutschen Vielfalt.

Grundschema Konkurrenz

Also ein kleines Paradies. Ja, wenn einen nicht stört, dass Konkurrenz und Verteilungskampf Grundprinzipien in der deutschen Gesellschaft sind. Mich stört es nicht, ich konnte bisher ganz gut mithalten. Jedoch ist das Grundschema Konkurrenz – implizit – schon ein lebens- und alltagsbestimmend.

Deutschland hat eine im internationalen Vergleich recht hohe Bevölkerungsdichte. Relativ viele Menschen leben hier auf relativ kleiner Fläche. Nicht extrem gedrängt, jedoch sind es deutlich mehr Menschen als erforderlich sind, um die Fläche des Landes so zu besiedeln, dass Infrastruktur und Wirtschaft überall gut funktioniert. Man ist also nicht wirklich voneinander abhängig, d.h. die Gesellschaft braucht den Einzelnen nicht für die Weiterentwicklung des eigenen Landes – und auch nicht, um einen erreichten Status quo zu erhalten. Dieses ist typisch für solche Gesellschaften, die ich hier einfach einmal als crowded bezeichne. Und damit auch typisch deutsch.

In diesen crowded Populationen – und so auch in Deutschland – hat dieser Sachverhalt, dass eben zuviel Menschen da sind, immer eine Konkurrenz um vorhandene Ressourcen zur Folge. Stellen Sie sich vor, Sie sind Arbeitnehmer, Sie arbeiten in einem Team von zehn Spezialisten und machen ihren Job gut. Nur stehen eben dort draußen noch weitere Spezialisten, die Ihren Job genauso machen könnten. Wirklich angewiesen ist Ihr Arbeitgeber nicht auf Sie. Er kann beim nächsten kleinen Fehler sagen: Ok, der war ganz gut, aber ich hol‘ mir jetzt einen neuen, der wird nicht schlechter sein, und vielleicht ist er besser. Und schon wegen dieser Möglichkeit werden Sie alles tun, um bei Ihrem Arbeitgeber besser da zu stehen als die dort draußen. Zum Beispiel, indem Sie Qualifikationen, die nur Sie und nicht die anderen nicht haben, als für Ihren Job besonders bedeutend herausstellen. Indem Sie sich mit Ihrem Chef befreunden oder, indem Sie die dort draußen als Person oder wegen ihrer Fachlichkeit niederreden. Selbst, wenn Sie den festen und sicheren Job haben und die dort draußen nicht, Sie sind in ständiger Konkurrenz. Ganz anders sieht die Situation freilich aus, wenn Sie im Team von zehn Spezialisten die Arbeit von 12 machen, weil weit und breit keiner da ist, der den Job machen könnte. Sie und Ihr Arbeitgeber werden froh sein, jemand halbwegs geeignetes so zu schulen, dass er den Job machen kann und werden ihn unterstützen. Konkurrenz wird er keine für Sie sein, obwohl er, anders als im ersten Fall, sogar Ihr direkter Kollege ist.

So, jetzt wissen Sie, warum mancher Kanadier oder Skandinavier etwas gelassener ist als der Durchschnittsdeutsche. Schauen Sie einfach, wieviel Menschen dort leben, und welche Haltung man haben muss, um die Länder einigermaßen bewohnt in Schuss zu halten. Man ist dort viel mehr voneinander abhängig als in einer crowded Community, in der es immer latente Konkurrenz um Ressourcen, um Jobs, um Kunden, um Macht, um Lebensentwürfe, um Status und Status-Erhalt gibt – und darum, was jetzt als relevante Ressource, um die dann konkurriert wird, angesehen wird und was nicht. In diesen crowded Gesellschaften werden Kinder schon im Kleinkindalter unter dem Konkurrenz-Aspekt sozialisiert. Dieses Schema ist quasi bei uns allen so internalisiert, dass wir es selbst nicht merken. Nicht einzigartig in Deutschland – im Gegenteil, es gibt viele crowded Gesellschaften – aber eben typisch. Das, was man im Ausland als German Angst bezeichnet, hat sicher mit dem internalisierten ständigen Auf-der-Hut-sein zum Zwecke des Status-Erhalts zu tun.

Es sind immer noch andere da, die das Gleiche können. Ein anderer Anbieter, bei dem man das Gleiche kaufen kann. Geht man doch dahin. Man ist ja nicht auf den einen angewiesen – und kann ihn daher auch gleich links liegen lassen. Genauso ist man ist nicht auf einen Nachbarn angewiesen, man hat in den eng bebauten Vorort-Siedlungen eine ganze Menge Nachbarn. Warum soll man sich mit dem lokal am nächsten, mental weiter entfernten auseinandersetzen? Muss man nicht. Es gibt ja genug andere Nachbarn. In den Städten ist man gar nicht mehr drauf angewiesen und hat die Wahlfreiheit, sich Menschen auszusuchen die den gleichen Wertekanon und Lebensstil haben, wie man selbst. Man ist nicht auf den nächstgelegenen Bäcker angewiesen. Ein paar Schritte oder ein paar Kilometer weiter gibt es einen anderen. Überall und immer gibt es noch einen anderen, und man kann sich den besten aussuchen. Das hat man seit dem Kleinkindalter internalisiert.

Nun, diese Konkurrenz und dieser Verteilungskampf ist in Deutschland noch recht moderat. Kennen sollte man das Schema jedoch und wissen, dass diese Prinzipien hier bestimmend sind. So kann man sich schneller mit der deutschen Gesellschaft arrangieren und in ihr klarkommen. Generell bedeutet dieses Konkurrenz-Prizip nicht, dass es negativ ist. Durch das westdeutsche Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft sind die natürlichen Auswüchse, die ein Grundschema Konkurrenz in crowded Gesellschaften zwangsläufig haben kann, sehr gemindert – unter anderem durch die zahlreichen Massnahmen der sozialen Sicherung. Die meisten Deutschen – ich nehme mich da nicht aus – entwickeln sich unter diesen Umständen recht gut. Anders würde eine crowded Gesellschaft auch gar nicht funktionieren.

Das Grundschema Konkurrenz bedingt weiterhin, dass sich alle nach außen hin möglichst gut und hochstehend präsentieren möchten und müssen – damit es ja alle anderen mitbekommen, dass man zu den Gewinnern gehört und es möglichst gar nicht erst wagen, sich in Konkurrenz zu einem zu begeben, in welchem Lebensbereich auch immer. Mein toller Beruf, mein Einkommen, meine wohlgeratene Familie, meine Kinder, mein Haus, mein Auto, mein… Und übrigens, Felix konnte das schon bei der UX-Untersuchung. Die Ärztin war begeistert, und wir haben ihn jetzt zur Frühförderung für Hochbegabte angemeldet. Man muss eben gut dastehen, in so einer crowded Gesellschaft mit Konkurrenz-Schema. So auch in der deutschen – und ich habe den Eindruck dieses selbstdarstellerische Auf-die-Tonne hauen ist hier extremer als andernorts.

Früh wird von Eltern klargestellt, was wichtig für Leben und Lebenslauf ist. Generelles Interesse an anderen Menschen zu entwickeln wird nur insofern gefördert, dass man sich von denen etwas für sich selbst abschauen kann. Zum Zweck der eigenen Entwicklung also, nicht der Sache und nicht der anderen Menschen wegen. Ansonsten betonen jedoch alle Eltern und Erwachsenen, sie seien offen, tolerant und überhaupt aufgeschlossen allem gegenüber. Böse invertiert gesprochen also nicht ganz dicht.

So in etwa tickt sie, die deutsche Gesellschaft. Alles in allem lässt es sich hier jedoch gut leben und man kann hier ganz gut gedeihen, verglichen mit anderen Ländern.

Fazit: Typisch deutsch…

Nicht unique, aber eben typisch:

  • ein angenehmes Klima
  • sehr schöne, abwechslungsreiche Landschaften
  • inspirierte Menschen
  • kurze Entfernungen
  • viele, international bedeutende kulturelle Entwicklungen in Kunst, Musik und Literatur
  • hohe Bevölkerungsdichte, genügend Arbeitskräfte für alle Branche. Crowded.
  • alltagsbestimmende, implizite Grundschemata Konkurrenz, Abgrenzung, Selbstdarstellung
  • preußische Hinterlassenschaften: Ordnung, Pünktlichkeit, Disziplin, Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt und Systematik. Tugenden, die gemeinhin als typisch deutsch anerkannt werden und deren Nützlichkeit außer Zweifel steht. Mit denen man jedoch auch ziemlich lange Weltkriege führen kann und Menschen effizient drangsalieren oder gar vernichten kann – passiert in Holocaust und in den Gefängnissen der Stasi.
  • deutscher Maschinenbau: Gewissenhaft gebaut, solide und unkaputtbar. Diesen vorzüglichen Ruf haben deutsche Maschinen international in fast allen Branchen. Seien es nun Heidelberger Druckmaschinen, Spezial-Fräsmaschinen oder Maschinen für die Automobilindustrie.
  • German Cars. Deutsche Autos. Man muss nichts darüber schreiben. Menschen anderer Länder sind stolz, sie sich zu leisten und zu fahren.
  • Made in Germany. Einst als Antwort auf das längst verschwundene »British made« eingeführt, gilt es immer noch weltweit als Qualitäts-Kennzeichnung – auch wenn das gekennzeichnete Produkt diesem Standard manchmal nicht gerecht wird.

Und freilich noch einiges mehr:

  • deutsches Bier
  • deutscher Wein
  • Bratwurst und Weißwurst
  • das Oktoberfest
  • die gemütliche Kneipe
  • Heidelberg, Rotenburg, Dinkelsbühl, Fachwerkhäuser
  • Graubrot und Schwarzbrot
  • Goethe und Schiller
  • Gartenzwege
Gesellschaft · Reisen

Flaneursgeprüft

blogger

Jetzt mit Prüfsiegel der Bielefelder Flaneure.

Vom internationalen Bloggertreffen in der Stadt, die es trotz →Bielefeld-Verschwörung sehr wohl doch gibt, hatte ich bereits berichtet. Am Abend führten uns die →Bielefelder Flaneure in Lokale, die wir allesamt wahrscheinlich nicht gefunden und niemals besucht hätten. Freilich sind die Tipps der Bielefelder Flaneure im Internet zu lesen, ich kannte sie bis dato jedoch nicht.

Das Bielefelder Westfalenblatt  – die eine Lokalpostille meiner Geburtsstadt – schreibt über die Bielefelder Flaneure, sie seien ein bundesweit einzigartiges Projekt. Der WDR konkretisiert, sie bestünden aus sechs Männern im besten Alter. Die Flaneure ziehen regelmäßig durch Futterkrippen, Imbiss-Gaststätten, und Bierkneipen und schreiben über die guten dieser Lokale Berichte, die überaus lesenswert sind, wie die andere Bielefelder Lokalpostille, die Neue Westfälische, schreibt. Einige Jahre, seit 2007, machen die Herren das nun schon in Bielefeld und ihr Blog ist quasi ein Kneipen- und Imbiss-Führer der anderen Art. Eine Menge Lokale werden hier vorgestellt, die von Kultstatus und  Gepflegt-Essengehen gleichermaßen weit entfernt sind. Dort, wo ich niemals allein oder zu zweit Station machen würde, akute Hungersituationen vielleicht ausgenommen, oder wenn ich in der Nachbarschaft wohnen würde und mir Kummer und Sorgen wegtrinken müsste. Von diesen Imbiss-Gaststätten und Bierkneipen gibt es ja viele. Die guten finden Sie im Blog der Bielefelder Flaneure. Drumherum um diese Kneipenbesuche haben die Flaneure ihr Projekt als Marke aufgebaut, mit allerlei, was dazugehört. So gibt es für die Lokale Aufkleber und Gütesiegel für die Tür, ähnlich wie Michelin, Millau und Merian sie vergeben. Und außerdem richtig schön gestaltete Postkarten für den Karten-Ständer auf dem Weg zum Klo.

Anders als zum Beispiel die Yelp-Kneipenbesuche hier in der Hauptstadt sind die Bielefelder Flaneure ein geschlossenes Team. Klar, wer einen Flaneur kennt, darf gerne mal mitflanieren. Öffentliche Termine gibt es jedoch nicht. Das ist nicht das Konzept. Wäre ich nicht nur ein in Bielefeld geborener, sondern ein in Bielefeld gebliebener, so würde ich vermutlich ab und zu mit zu den Bierkneipen und den Futtern-wie-bei-Muttern-Grilltheken flanieren.

Drei Dinge, falls Sie also nach Bielefeld fahren:

  1. Sie werden nicht enttäuscht sein. Die Stadt gibt es trotz Bielefeld-Verschwörung wirklich. Sie finden sie schnell und einfach: A2, kurz im Stau warten, und schon sind Sie dort.
  2. Teuer und mit weißer Stoffserviette essen und nicht satt werden können Sie hier auch irgendwo.
  3. Schmackhaft wie bei Muttern ist es hingegen dort, wo Sie das Label der Bielefelder Flaneure finden. Bevor Sie jetzt jedoch durch die Bielefelder Straßen irren, lesen Sie vorher im Internet bzw. Blog der Flaneure.

Und manches frisch gezapfte Bier und Parlieren mit flaneursgeprüfter Wirtin erspart den Gang  zum Therapeuten.

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Bi:lefeld 14

2014-03-31-Neue-WestfälischeInternationales Blogger-Treffen in Bielefeld.

Miz Kitty bloggt ja schon lange und war eine Zeit lang eine feste Größe in der Blogger-Community des österreichischen Blog-Hosters twoday.net. Einige Jahre ist der Boom dieser Blogger-Communities her, es war die Zeit vor Facebook und Twitter. Eine ganze Anzahl Blogger, die in dieser Zeit schon aktiv waren, haben über die Jahre schon ziemlich viel voneinander gelesen, auch wenn sie heute zum Teil nicht mehr im Iron-Blogger-Takt schreiben. Ein Teil dieses harten Kerns der twoday-Blogger traf sich letztens in Bielefeld. Miz Kitty war selbstverständlich auch dabei und ich ebenso – zwar nicht zum harten Kern der twoday-Blogger gehörend, jedoch angeheiratet, und auch schon seit 2008 bloggend.

Frau Ro hatte eingeladen und hat mit ihrem Gatten für uns ein vorzügliches Treffen in der ostwestfälischen Metropole am Teutoburger Wald organisiert. Mit Stadtführung, leckeren Steaks und bunten Cocktails. Ich traf also auf ausgesprochen nette Blogger und daran, dass es Bielefeld nicht gibt, hatte ich sowieso schon immer berechtigte Zweifel. Am Abend hatten wir dann unseren den großen Pressetermin und sind mit den →Bielefelder Flaneuren durch die Stadt gezogen.

Mich verbindet mit dieser ostwestfälischen Perle ja etwas Besonderes. Vor einem knappen halben Jahrhundert bin ich dort geboren und seither ziert das Wort Bielefeld alle wichtigen Personalpapiere. Aufgewachsen bin ich in dieser Stadt jedoch nicht, habe jedoch vor fast genau 30 Jahren dort ein Praktikum absolviert – in einer Maschinenbau-Fabrik, in der Loctite-Sekunden-Kleber als Atomkleber bezeichnet wurde. Wir verwenden den Begriff noch heute dafür. Damals hatte sich Bielefeld übrigens den Claim Die freundliche Stadt am Teutoburger Wald zugelegt, was im Volksmund in →Bielefeld, die freundliche Baustelle am Teutoburger Wald umgewandelt wurde. Wegen der in dieser Stadt schon immer größenwahnsinnigen Straßen- und U-Bahnbau-Aktivitäten.

Die ostwestfälische Landschaft ist ja durchaus nicht zu verachten. Das Ravensberger Land zwischen Wiehengebirge und Teutoburger Wald ist abwechslungsreich und kleinteilig. Die Höhenzüge mit Mittelgebirgsqualität. Neben allen face-to-face-Begegnungen war für mich die Stadtführung interessant, die uns unter anderem in die Gegend führte, in der meiner Großmutter von 1921 bis 1924 in der Nähstube von Frau Voigt Damenschneiderin lernte. Das muss rund um die Viktoriastraße gewesen sein. Meine Großmutter hat mir viel von dieser Zeit erzählt.

Über die Bielefelder Flaneure werde ich im nächsten Beitrag schreiben.

 

 

Reisen

Townhouses, Tittentaster und eine tote Ratte

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Spazieren und fotografieren in Wismar

Wie die Stammleser dieses Blogs wissen, weilte Miss Kitty in den letzten Wochen in Norddeutschland, um sich bei der besten und wohl ältesten Freundin ihrer Nadel- und Fadenkunst zu widmen. An den Wochenenden war ich ein paarmal dort, in der Nähe der Ostsee, gute 20 km von der alten Hansestadt Wismar entfernt. Am letzten Samstagnachmittag war dort ein privater Frauen-Kleidertausch angesagt. Ein Treffen der Damen der Umgebung zwecks Tausch von überzähligen Kleidungsstücken, wie sie Damen ja manchmal haben. Als einziger Mann, zudem noch mit Miz Kitty verheiratet, fühlte ich mich etwas deplatziert in dieser Runde und nahm vorher Reißaus Richtung Wismar. Stadterkundung, Fotografieren. Das hatte ich mir schon die ganze Woche für den Samstag vorgenommen. In der Hansestadt war ich schon öfter, einen ausführlichen Stadtrundgang hatte ich jedoch hier noch nie gemacht. Leider spielte das Wetter nicht so mit, wie ich es gerne gehabt hätte. Bedeckt war es, mit sehr mäßigem und eigentlich ungeeignetem Licht für eine Foto-Tour. Eine komplette Speicherkarte habe ich trotzdem voll gemacht. 278 Fotos. Klar, wenn man jedes Motiv dreimal fotografiert…

Ich begann also, die morbiden Speicher im Hafen zu erkunden. Stillgelegte Industriebrachen von gewaltiger Größe, unweit des Hafenanlegers. Lost-Places-Charme am Samstagnachmittag. Leider gibt es keine legale Chance, in diese Gebäude hinein zu schauen. Also habe ich nur von außen Fotos gemacht. Durch das Wassertor wechselte ich in die nahezu komplett erhaltene Innenstadt Wismars mit ihrem schmalen Stadthäusern aus spätmittelalterlicher, barocker oder klassizistischer Zeit. »Townhouses« würde man neudeutsch-gentrifiziert dazu sagen. Nicht eines, sondern viele habe ich davon fotografiert. Fein restaurierte Stadthäuser, einige gerade im Rekonstruktionsprozess und ein paar Sanierungsfälle. Wer so ein Townhouse haben möchte und sich nicht vor Denkmalschutzauflagen und Investitionen scheut, in Wismar gibt es noch einige, und die sind dazu echt alt. Im Zusammenhang mit diesen Häusern gibt es ein sehr interessantes Internet-Angebot der Hochschule Wismar. Dort sind ⟶Hausbiografien einer ganzen Reihe dieser Jahrhunderte alten Stadthäuser zusammengetragen. Oft geht die Historie bis in die Zeit um 1600 oder noch früher zurück.

Tittentaster

In Wismar gibt es eine Straße, die Tittentaster Straße heißt, direkt neben dem Hotel Stadt Hamburg. Eine Straße ist es nicht unbedingt, eher ein breiter Gang oder eine Passage. Unbedeutend, unspektakulär, nur das Straßenschild macht neugierig und ist wohl auch absichtlich sehr präsent angebracht. Natürlich habe ich das Straßenschild fotografiert. Nicht einmal, weil ich diesen Begriff übermäßig lustig finde, sondern eher, weil er eben zu Wismar gehört. Was hat es auf sich mit dieser Bezeichnung? Fakt ist wohl, dass die Straße beziehungsweise früher der Gang nicht in alten Stadtplänen unter diesem Namen zu finden ist. Internetquellen geben her, es sei dort früher ein so enger Gang gewesen, den man beim Entgegenkommen nicht ohne gegenseitige Körperberührung passieren konnte. Inklusive Titten tasten eben, sofern einem eine Frau entgegen kommt, oder man selbst eine ist. Ob das so stimmt, oder ob diese Straßenbezeichnung ein Konstrukt oder Witz der Neuzeit ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Tote Ratte im Schaufenster

Zum dritten T der Überschrift dieses Beitrags, der toten Ratte im Schaufenster: In der Bohrstraße 6 gibt es ein Haus, das durchaus nach einem Sanierungsfall aussieht. Es ist das kleinere und deutlich ärmer anmutende grünliche Haus, direkt neben dem ⟶gelben Barockhaus Bohrstraße 8. Letzteres wiederum ist das Nachbarhaus des fein herausgeputzten Hotels Alter Speicher (Bohrtraße 10–12). Offensichtlich ist das kleine, grau-grüne Haus nicht mehr bewohnt. Es besitzt ein kleines Schaufenster, so wie es früher oft Einzelhändler und Gewerbetreibende hatten. In der Auslage dieses Schaufensters hat jemand ein paar DDR-Devotionalien zusammengetragen. Unter anderem liegt hier ein angefressenes Brigade-Tagebuch, auf dem eine tote Ratte drapiert ist, die ihre ersten Verwesungserscheinungen schon hinter sich hat. Ekelhaft, gammlig und dreckig, gäbe es nicht die Trennung durch die schützende Schaufensterscheibe. Ein skurriles Stilleben. Ein Hingucker zwischen gut sanierten Barockhäusern. Während ich fotografierte, drückten sich asiatische Touristen an diesem Schaufenster die Nasen platt. Neugierig fragten sie mich, was denn das sei? Eine tote Ratte. Ja, das sehen sie. Sie wollen wissen, um was es hier geht? Ich weiß es auch nicht, ich habe ihnen erklärt, es seien Gegenstände aus realsozialistischer Zeit, und was ein Brigade-Tagebuch ist. Schnell habe ich am Abend herausgefunden, dass es sich um die Bohrstraße 6 handelt. Nichts und gar nichts gibt jedoch das Internet zu diesem Haus mit seinem merkwürdigen Schaufenster her. Vielleicht ist es Frust-Deko von irgendem oder ein ironisches Kunstwerk, eine kurzlebige Temporärerscheinung, die schnell wieder verschwindet, wenn sich Hotelgäste und Touristen ob des Kleinkadavers beschweren? Vielleicht wissen Sie es, was es mit der toten Ratte im Schaufenster auf sich hat? Schreiben Sie es mir.

Die Fotos

HIER. Ich habe sie schnell auf dem iPad sortiert, zum Teil etwas aufgehübscht und wie bei allen Fotostrecken in diesem Blog separat gespeichert. Reiseführertauglich sind sie nicht, dazu war das Licht zu ungünstig, ich schrieb es bereits. Aber, ich mache keinen Stadtspaziergang ohne Fotos mitzubringen. — Und falls mein Beitrag Sie jetzt inspiriert zum »Townhouse-Gucken« und fotografieren, dann freut mich das sehr.

 

Gesellschaft · Reisen

Friedhofsschwimmen

in der Lübecker Bucht.

Schwimmen über einem Kleinstadt-Friedhof, knappe 20 Meter unter Wasser. Deutsche Geschichte, sie holt einen ein, wtf. Ganz euphorisch hatte ich am letzten Wochenende eine meiner Lieblingsbadestellen in der Nähe von Groß Schwansee, unweit der Lübecker Bucht vorgestellt. Was ich bis dahin nicht so genau wusste: Gar nicht weit von diesen Ort ereignete sich eine der größten und traurigsten Schiffskatastrophen des zweiten Weltkriegs, die Versenkung des mit KZ-Häftlingen vollbesetzten Ex-Luxusdampfers →Cap Arcona durch britisches Bombardement am 3. Mai 1945.

Nimmt man die ebenfalls in der Lübecker Bucht versenkten kleineren Schiffe →Thielbek und →Athen hinzu, so sind ca. 7000 Menschen auf diesen Schiffen gewesen. 6400 von ihnen kamen um. Etwa die Hälfte der Toten wurde in den Sommermonaten 1945 und auch noch danach an Land gespült. Sie sind in Massengräbern beigesetzt. So auch in der Nähe der Badestelle, die mir so gefällt – oder gefiel? 407 Leichen trieb es in Richtung Groß Schwansee. Sie sind hier in einem Massengrab beigesetzt. Es gibt eine →Gedenkstätte.

Von ca. 3000 Opfern dieser Katastrophe fehlt jedoch jede Spur. Sie haben ihr Grab in der Ostsee gefunden. 3000 Menschen, eine Kleinstadt. Und viele davon vermutlich in knapp 20 Meter Tiefe auf dem Meeresgrund rund um die bekannte Stelle, an der die Cap Arcona noch bis 1950 aus dem Wasser ragte. Versenkt wurde das 25 m breite Schiff nämlich nicht wirklich. Es lag auf der Seite auf dem Grund und ein Teil schaute aus dem Wasser. 1950 wurde das Wrack dann abgebaut und man fand zahlreiche Leichen darin. Was auch immer mit denen passiert ist, die Recherche gibt wenig her. Ich denke, 1950 war man froh, dass Wrack dort los zu sein, der Rest liegt auf dem Meeresgrund. Tauchen wird wohl an dieser Position nicht gerne gesehen bzw. erfordert Mut. Es gibt zumindest Andeutungen dazu im Internet.

Die westdeutschen Urlaubsorte der Lübecker Bucht, Sierksdorf, Scharbeutz und Timmendorfer Strand, präsentieren sich heute gerne als Wohlfühl-, Entspannungs- und Familienparadies und scheinen alle Konfrontationsflächen, die Touristen mit der Schiffskatastrophe haben könnten, strikt zu vermeiden bzw. auf singuläre Orte zu fokussieren. Freilich, der Badegast kann ja zum →Ehrenfriedhof Cap Arkona nach Neustadt fahren, wenn er politisch interessiert ist. Dass er als guter Schwimmer locker das Zentrum des Ostseefriedhofs erreicht, sagt man ihm besser nicht. Fröhliches Friedhofs-Schwimmen.

Etwa 15 km sind es vom Strand von Groß Schwansee bis zur Position der Schiffskatastrophe. 15 km sind keine große Entfernung – und 3000 Menschen sind eine Kleinstadt. Hier, irgendwo auf dem Meeresgrund, zumindest ihre Reste. Irgendwie gruselt es mich, im Sommer dort wieder zu schwimmen. Und noch vielmehr gruselt es mich, wenn ich die Selbstdarstellungen der schleswig-holsteinischen Ostseeorte mit ihren bunten Familienparadies-Bildern sehe. In Nebensätzen heißt es in Internetquellen, dort seien bis in die sechziger oder oder achtziger Jahre noch vereinzelt menschliche Knochenteile an den Strand gespült worden. Das mag vorbei sein, da Natur und Meeresgetier ihren Dienst zuverlässig tun. Trotzdem sehr merkwürdig, Massenbaden neben dem Wasserfriedhof. Kann man tun – muss ich nicht. Ich zelte auch nicht auf einem Friedhof.

Im letzen Sommer habe ich am Strand von Groß Schwansee am Sonntagnachmittag schön und erholsam geschwommen. Links die Lübecker Bucht, rechts der Blick auf die offene Ostsee. Warmes, seichtes Wasser, Fähren kreuzen. Meer-Schwimmen. Anders und eindrucksvoller als Wannsee oder Havel. Weit sind wir dafür gefahren. Ich wußte, dass in der Ostsee so einiges an Müll liegt. Kriegsgerärt, Munition, Giftgas, Hinterlassenschaften von Seeschiffen und Fähren. Dinge, die wir heute Sondermüll nennen. So what, egal, dachte ich mir, das richten Natur und Meerestiere schon, und es beeinträchtigt weder Erholung noch Ostseefreuden. Natürlich, die Schiffskatastropen des Weltkrieges kannte ich. Gustloff, Goya, Cap Arcona, tausende Tote, irgendwo in der Ostsee. Dass die Cap-Arcona-Katastrophe sich jedoch direkt in der Lübecker Bucht ereignete, so nah, dass man locker hinschwimmen kann, das war mir nicht präsent. Jetzt weiß ich es, durch Zufall, durch einen Wegweiser, der neugierig machte.
Und ich finde, die Urlauber auf der schleswig-holsteinischen Seite der Lübecker Bucht sollten es auch wissen. Sie sind ganz nah dran, sie können hinschwimmen zum Ort der Schiffskatastrophe.

Geschichte, sie holt einen ein. Nicht nur die individuelle, auch die kollektive Geschichte. Jetzt hat sie mich eingeholt. Mir ist die Lust am Schwimmen hier in der Nähe der Lübecker Bucht etwas vergangen. Ich muss mir für den Sommer eine andere Badestelle suchen. Nur, wo? An der Nordsee, viel zu weit weg? Ratlos bin ich gerade.

Sagen Sie mal etwas dazu. Geben Sie mir einen Tipp.

Gesellschaft · Reisen

Ostseefreuden

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Strandspaziergang – Februarfotos

Kitty weilt ja zur Zeit in Nordwestmecklenburg bei ihrer Freundin, hütet dort Haus und Hof und hat sich einiges an Nähprojekten mitgenommen. Also bin im Moment von Freitag bis Sonntag in der Gegend um Alt Meteln. Von hier sind es nur knappe 30 Kilometer bis zur Ostsee – bis »zum Meer«. Da ist natürlich dann am Samstag nachmittag ein Stranspaziergang angesagt.

Von hier aus gibt es sicher nähere Ostseestrände als dervon Groß Schwansee. Bevor wir jedoch lange suchen müssen, Kurtaxe zahlen oder im Schwarm der Alt-Westdeutschen oder Alt-Ostdeutschen mitspazieren müssen, fahren wir lieber an die Orte, die wir kennen, auch wenn die etwas weiter entfernt sind. Also nach Groß Schwansee. Wie? Sie möchten jetzt wissen, wo das ist? Hier, ich schrieb es bereits in diesem Blog.

Nun, was macht man, wenn man an einem schönen Februartag um 15 Uhr am Ostseestrand ankommt? Spazieren gehen, tändeln, fotografieren. Bis zum Sonnenuntergang, bis die Speicherkarte voll und der Smartphone-Akku leer ist. Viele Fotos habe ich gemacht. Eine Auswahl habe ich zu einer Fotostrecke zusammengestellt.

▸ Zu den Fotos – Bitte ansehen.

Auf dem Rückweg lockte es mich dann, im Dunklen von Groß Schwansee noch einige Kilometer Richtung Travemünde auf die Halbinsel →Priwall an der Travemündung zu fahren. Zwar kenne ich Travemünde aus meinen Hamburger Zeiten, war aber noch nie auf »dem« Priwall. Ferienhäuser im Stil West – der Priwall gehörte ja zum großen Teil zum Westen. Dazu einige schöne Jugendstilhäuser, die Seemannschule, die Landesberufsschule für Bootsbauer, an der ein Bekannter aus Studienzeiten heute unterrichtet und eine Seniorenresidenz für Besserberentete direkt am Fähranleger.

Design & Typo · Gesellschaft · Reisen

Polnische Buchstaben

Typografisches und Schriften im Nachbarland

Im Moment bin ich wieder einmal in Polen, um mich im Riesengebirge zu erholen. Ein Grund, etwas zu polnischer Typografie bzw. genauer zu polnischen Schriften zu schreiben.

Fährt man ins östliche Nachbarland, so fällt dem typografisch Interessierten zuerst einmal die Schrift der polnischen Verkehrsschilder auf. Mit dem charakteristischen, abgeschnittenen e und dem individuellen runden a.

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Ein komplettes Schriftmuster findet man im Internet und →Hier, für die Schriftenjäger und Sammler.


Schriften für Mengentext und Display

Nun, Verkehrsschilder sind eines, interessanter sind für mich Satzschriften. Also habe ich etwas über polnische Schriften recherchiert. Gibt es die tatsächlich, typisch polnische Typo und Schrift? Und wenn ja, wie heißen diese Schriften und was sind ihre Eigenheiten? Da in Zeiten von Windows-PCs die Arial auf manchem neuen polnischen Straßenschild Verwendung findet und die Schriften der Corel-Draw-Bibliothek inzwischen auf der letzten Mülltonne an der ukrainischen Grenze angekommen sind, muss ich früher ansetzen, um typisch polnische Schriften aufzuspüren. Nicht sehr einfach für jemanden, der weder der polnischen Sprache mächtig ist, noch irgend einen familiären Bezug zu diesem Land hat. Und da Schriften ähnlich wie Türklinken sind – man liest, d.h. benutzt sie jeden Tag oft, aber kaum jemand erinnert sich an die konkrete Form – kann man vor Ort auch nicht schnell fragen, welche Schrift früher oft verwendet wurde.

Ein paar sehr individuelle polnische Eigenheiten habe ich zumindest herausgefunden und hier zusammengetragen. Polen gab es als eigenen Staat erst wieder nach dem ersten Weltkrieg, und so habe ich keine alten Schriften gefunden, die irgendwie den Eindruck vermitteln, sie hätten etwas typisch polnisches. Die große Diversifizierung im Schriftbereich und der Boom der →Schriftgießereien setzte erst im 19. Jahrhundert in der deutschen Gründerzeit ein. Im gesamten 19. Jahrhundert gab es Polen nicht als eigenen Staat und daher gibt es auch keine nennenswerten nationalen Einflüsse im Bereich der Gestaltung von Druckschriften.

Das änderte sich in der Zeit der polnischen Nationalbewegung in den 1920er Jahren. So gibt es eine Schrift, die ziemlich eigentümlich ist. Mit Formen der Buchstaben, wie sie eben nicht in Deutschland oder Amerika üblich waren. Es ist die →Półtawski-Antiqua von Adam Półtawski. Mit dem ganz charakteristischen g. Ein rundes w und y ergeben zudem ein gefälligeres Schriftbild mit den für polnische Texte typischen Buchstabenabfolgen. Besser, als wenn die üblichen spitzen Formen von w und y verwendet werden. Nirgendwo außerhalb Polens ist mir diese Schrift bisher über den Weg gelaufen. Und selbst dort erscheint sie ausgestorben zu sein. Außer als Schriftmuster habe ich sie zuletzt auf meinen ersten Polen-Reisen gesehen. In Formularen, Überbleibsel aus der kommunistischen Zeit, schlecht gedruckt auf holzhaltigem Papier. Schon lange sind diese Druckerzeugnisse durch Laser-Ausdrucke ersetzt und damit auch die Poltawski-Antiqua mit ihrem charakteristischen g durch TimesNewRoman mit dem für uns gewöhnlichen g.

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In der Zwischenkriegszeit und in der kommunistischen Ära wurde diese Schrift gut verwendet, oft so lange, bis jede Bleiletter in den 70ern oder 80ern derart abgetragen war, dass kaum noch damit gedruckt werden konnte. Danach gab es oft direkt den Quantensprung zu DTP mit Windows-PC und den bekannten, internationalen Standardschriften. Arial läßt grüßen. Die Poltawski-Antiqua mit dem charakteristischen g hat es nicht in diese digitale Zeit geschafft. Jedenfalls nicht wirklich. Zwar gibt es eine digitale Version von →Janusz Marian Nowacki, der sich zum Ziel gesetzt hat, historische polnische Schriften zu digitalisieren und so zu erhalten, jedoch scheint sie in Polen keiner mehr zu brauchen bzw. zu mögen. Offensichtlich als rückwärtsgewandt angesehen, dieses g –warum sollte man solche nationalen Eigenarten aus schlechteren Zeiten erhalten?  Jedenfalls habe ich die Poltawski-Antiqua nie wieder im Einsatz gesehen. Und genauso wenig ähnliche Formen, wie die Serifenlose zur Poltawski-Antiqua, digital entstanden unter dem Namen Grotesk Polski. Wenn Sie testen mögen, die digitale Poltawski-Antiqua gibt es gratis in drei Schnitten auf den Internetseiten von Janusz Marian Nowatzki.

Grotesk-Polski

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Nowacki hat sich um zwei weitere Schriften gekümmert, die ich durchaus als typisch polnisch bezeichnen würde. Die →Antykwa Toruńska von →Zygfryd Gardzielewski, entworfen 1960. Sie wirkt etwas wie eine mit Tilden und Wellenbewegungen aufgehübschte →Candida. Für Mengentext ist sie nicht wirklich geeignet, der beste Verwendungszweck ist wohl für leicht edel-etabliert anmutende Wortmarken, vielleicht mit polnischem Touch, erinnern die leichten Wellen in den Waagerechten doch an polnische Handschrift (s.u.). Ich selbst habe sie vor einigen Jahren für das Wort Urkunde gebraucht, in Versalien gesetzt, etwas gesperrt, klassische Anmutung. Dafür funktioniert sie gut. In Polen habe ich sie außer für ein wenig gelungenes Logo eines Café noch nicht im Einsatz gesehen.

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Cyklop ist eine Display-Schrift, aus der Zwischenkriegszeit. Man könnte diese Schrift als einen etwas eigenwilligen Klon der bekannten Broadway halten. Man sieht sie immer noch mal ab und zu in oft individualisierten Varianten auf alten Schildern etc. Auf jeden Fall eine interessante Alternative zur Broadway.

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Was bleibt noch zu sagen über polnische Schriften? Erwähnenswert ist auf jeden Fall die Schrift Blanke, die in den polnischen Telefonbüchern verwendet wird. Entworfen 1993 von Felix Tymcik. An traditionelle Elemente polnischer Beschriftungen anknüpfend, mutet die Blanke individuell und zu Polen passend an. Zudem ist sie so entworfen, dass die Punzen (Öffnungen) beim Druck auf schlechtes, saugfähiges Papier nicht zulaufen. Sehr interessant auch hier die Form des g. Weiter möchte ich Łukasz Dziedzic erwähnen, der heute fester Bestandteil der polnischen Schriftgestalter-Szene ist und einige bekannte Schriftfamilien entworfen hat, unter anderem den Google-Font Lato. Allerdings, international und modern anmutende Glyphen, ohne an Formen anzuknüpfen, die man als typisch polnisch empfinden könnte – sieht man einmal von durchaus vorhandenen Alternativglyphen ab. Etwas von diesen polnischen Eigenheiten sind vielleicht in den Fonts Achimow und Helga vorhanden.

/portfolio/?Family=Achimov
http://alfabety.pl/portfolio/?Family=Helga Versalien

http://www.myfonts.com/country/pl/

http://luc.devroye.org/poland.html

http://www.twardoch.com/download/poltype/

Łukasz Dziedzic

Blanke

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Apollonia ist eine Schrift mit dem Anspruch, dass darin gut Texte in polnischer Sprache mit ihren Konsonantenfolgen gesetzt werden können. Die Stärke liegt sicher in den speziellen Ligaturen und dem runden w und y. Wie bei der Poltawski Antiqua liefern beide bei polnischen Texten ein besseres Satzbild. Die Schrift gibt es in mehreren Schnitten zum Download (Link unten).

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Handschriften

Richtet man jetzt die Betrachtung vom gedruckten Text weg hin zur geschriebenen Schrift, so fallen schneller nationale Eigenheiten auf, die typisch polnisch sind. Die Buchstabenformen der Handschrift sind ja einerseits individuell durch den Schreiber bedingt, andererseits werden sie jedoch auch durch die dem Schreiber zuerst vermittelte Schulschrift bedingt. In fast jedem Staat wird die Schrift mit anderen Ausgangsformen gelehrt und dementsprechend entwickeln sich die Handschriften erfahrener Schreiber unterschiedlich. Schnell vermittelt eine handgeschriebene Weihnachtskarte, dass sie aus Polen kommt. Oft reichen die Ziffern der Postleitzahl, das zu erkennen. Was macht die Handschrift also typisch polnisch? Es sind die tildenartigen, kleinen, horizontalen Wellen. Zum Beispiel im z oder Z, in der 7, der 2 oder der 5. Wo sonst ein wagerechter Strich ist, geht’s in Polen mit tildenförmig geschwungen zur Sache. Außerdem wird gerne aufrecht und Buchstabe an Buchstabe geschrieben. Das W zudem oft mit zwei äußeren Senkrechten.

Einen kleinen Eindruck dieser kleinen Wellen gibt die Schrift Cookie von Ania Kruk wieder, ein Google-Font. Schauen Sie sich die Ziffern an, das Z, z und J. Einen anderen Eindruck gibt die Schrift Konstytucyja, hier vor allem die Kleinbuchstaben. Diese typische Form des Z mit tildenförmigen Waagerechten sieht man auch sehr oft, wenn handschriftlich Druckbuchstaben geschrieben werden. Praktisch ist dieses Z in jedem größeren Büro schnell in den Beschriftungen der Ordner zu entdecken oder an der Tür des Lebensmittelladens. Zapraszamy (=kommen Sie herein), natürlich mit dem geschwungenen Z – wie sonst in Polen?

Cookie

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Konstytucyja

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Schilder und Lettering

In meiner kleinen Sammlung über polnische typographische Eigenheiten fehlen noch Schilder und Beschriftungen. Heute mag man in Polen Schilder und Schriften in allen bunten Farben. Das ist nicht verwunderlich, wenn man 40 Jahre im grauen Sozialismus und Mangelwirtschaft gelebt hat. Mainstream-Typo, Schriften und Hintergrund oft in der Kombination gelb-orange, rot, blau. Meist in Abwesenheit eines Typografen produziert. Mit den Schriften, wie es auch das Corel-Draw-Paket in Auswahl und Qualität hergibt. Werbetafeln gibt es zur Zeit in hoher Buntheit und Sättigung, wie es die modernen Large-Format-Printer hergeben. Nationale Eigenheiten – gibt es. Je größer, je besser und gerne mit Foto. Aber nichts Spezifisches, was nicht ein internationaler Corel-Draw-Baukasten schon mitliefert.

Bleibt also zu schauen, ob es speziell polnische Eigenarten aus der Zeit vor Folienplot und DTP gibt. Als charakteristisch fielen mir auf meinen ersten Polen-Reisen die serifenlosen Schriften mit unterschiedlicher Strichstärke auf. Oft condensed und immer etwas starr anmutend. Im Schilder- und Beschriftungsbereich hat man in Deutschland serifenlose mit unterschiedlicher Strichstärke nur selten. Rot sahen die typischen Hinweisschilder aus, in polnischen Nationalfarben, mit weißen Versalien, schmale, serifenlose Buchstaben. Etwas streng, aber nicht wahrnehmbar konstruiert. Es gibt sie noch, diese Schilder mit diesen charakteristischen Schriften, allerdings immer seltener. Die Schrift im →Zywiec-Logo ist übrigens in diesem Stil, nur dass es eine Serifenschrift ist, wodurch die Wortmarke freundlicher wirkt.

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  •  Einfahrt für Lastautos und Pferdewagen verboten

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  • Schablonenvariante. Ach hier die betont unterschiedlichen Strichstärken.

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  • Gleicher Stil, nur mit leichten Serien

Inspiriert von diesen schmalen, strengen serifenlosen Condensed-Schriften mit unterschiedlichen Strichstärken – die mir bis dahin ziemlich fremd waren – habe ich vor mehr als 20 Jahren mit einem rudimentären Font-Editor eine digitale Version der Schrift Schadow Bold Condensed von ihren Serifen befreit und etwas umgearbeitet. AnetaK heißt die Schrift und schlummert seitdem in den Fontwelten der Backup-Festplatte. Experiment, privat, außer für einen Gummistempel nie eingesetzt.

AnetaK

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Kfz-Nummernschilder

Wahrscheinlich sind sie wie die Nummernschilder in anderen Staaten fälschungssicher, maschinenlesbar aus dem mitgeschnittenen Video oder sonstwie. Typografisch sind sie genauso wenig wie in Deutschland oder andernorts, machen in der Gesamtwirkung jedoch noch eine halbwegs gute Figur.

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  • Typo der polnischen Kfz-Nummernschilder