Prognosen zur Wahl und Wahlempfehlungen gibt es im Moment einige, von distanziert bis ideologisch. Mancher wünscht sich gar, die Wahl wäre schon vorbei, um nicht die Texte von Parteisoldaten lesen zu müssen.
Mehr oder weniger ernsthafte Screenshots des →Wahl-O-Mat konnten wir bereits auf Twitter und in diversen Blogs lesen. Sie wissen schon, dieses Online-Tool, mit dem man sich nicht langatmig durch bullshit-befloskelte Parteiprogramme oder Wahlprogramme lesen muss, sondern ganz einfach eine Reihe von Fragen mit ja oder nein beantwortet (die von den Parteien zuvor auch beantwortet wurden) und als Ergebnis ein Ranking von Parteien erhält, mit deren Zielen die eigenen Ansichten möglichst gut übereinstimmen. Vorher kann man noch eine Gewichtung festlegen, welche Fragen man als besonders relevant erachtet und welche Parteien berücksichtigt werden sollen.
Nun, ich weiß, was ich wähle und bin mir des infinitesimal-geringen Einflusses meiner Stimme in einer Demokratie, die eben wenig basisdemokratische Elemente enthält, bewusst. So wird die Bundestagswahl eher zum Event als zu einer wahrnehmbaren Mitbestimmung. Durch den Wahl-O-Mat habe ich mich trotzdem geklickt – um mitreden zu können. Wie selbstverständlich habe ich natürlich nur die Parteien in die Auswertung einbezogen, die nach Erfahrungswert und Umfragen eine realistische Chance haben, in den Bundestag einzuziehen. Und genauso selbstverständlich haben Menschen, mit denen ich gesprochen habe, alle Parteien in die Auswertung einbezogen. Dann mit spektakuläreren Ergebnissen. DKP oder Grüne hat der Wahl-O-Mat für die erste Person als passend herausgefunden, die Linke oder die NPD als zur zweiten Person passend und die Rentnerpartei fand das Online-Tool als ideal für die dritte heraus, mit Anfang 20 eine noch recht junge Dame. Mein Ergebnis ist dagegen eine der Big-Five-Parteien, denn andere hatte ich ja erst gar nicht in die Auswertung einbezogen. Chancenlos, warum sich damit auseinandersetzen?
Strategisch oder idealistisch?
Es gibt also zwei Herangehensweisen an die Auswertung per Wahl-O-Mat und an das Ergebnis. Mit Berücksichtigung von Wahrscheinlichkeiten und Realitäten und eben ohne. Genauso gibt es diese Herangehensweisen, das Kreuzchen zu setzen. Als Realist, der ein »kleineres Übel« wählt, das ihm lieber ist als die Wahl einer chancenlosen Partei, die den eigenen Vorstellungen deutlich näher ist. Oder als Idealist, der genau dort das Kreuzchen setzt. Eine verlorene Stimme, wenn die Wunschpartei dann – wie vorauszusehen – nicht in den Bundestag kommt?
Nein, nicht ganz, zumindest nicht bei der Zweitstimme. Dieser infinitesimale millionstel Prozentpunkt fehlt einer der anderen Parteien, immerhin. Hätte man diese Stimme nicht abgegeben, wäre auch die prozentuale Verteilung aller Parteien eine andere, wenn auch nur in der hintersten Nachkommastelle.
Und bei der Erststimme bleibt jede Stimme, die nicht für den Wahlkreissieger ist, ohne Wirkung, egal ob für den Kandidaten der zweiten großen Partei oder einer kleinen abgegeben.
Nur beim Kopf-an-Kopf-Rennen zwei gleicher Kandidaten ist strategisches Wählen bei der Erststimme sinnvoll. Dann entscheiden oft wenige hundert Stimmen, und theoretisch könnte natürlich eine eizige ausschlaggebend sein. Dafür, dass von zwei suboptimalen Direktkandidaten der optimalere der Wahlkreissieger wird. Ob so ein Kopf-an-Kopf-Rennen wahrscheinlich ist, darüber geben alte Ergebnisse und Umfragen eine sehr gute Einschätzung.
So man nicht absoluter Sympathisant einer der beiden großen Parteien ist, bewährt es sich immer, kleine Parteien zu wählen. Erstens, um sie mit vielen anderen Wählern zusammen mit der eigenen, infinitesimalen Stimme über die Fünf-Prozent-Hürde zu heben. Zweitens, um wenigstens die prozentualen Anteile der anderen Parteien zu beeinflussen und drittens, – und das ist ziemlich subjektiv – um bestehende, übergroße und oft selbstverliebt-machtverwöhnte Parteiapparate nicht unnötig zu stützen.