Rasterpunkte holen

IMG_1516.JPG

Rasterpunkte holen, …und noch ein WLAN-Kabel mitbringen.

Gerade sagte hier jemand das Wort WLAN-Kabel, und wir lachen alle herzlich. Früher™, als es noch kein WLAN gab und ich noch in Hannover und Hildesheim unterwegs war, schickte man die Lehrlinge und Schüler-Praktikanten los, um beim örtlichen Händler für grafischen Bedarf Letraset-Anreibebuchstaben zu kaufen und gab ihnen in den ersten Arbeitstagen mit auf den Weg, außerdem noch einzelne Rasterpunkte mitzubringen. Zurück kamen sie dann zuweilen mit einer schön zurechtgemachten Tüte mit Papier-Konfetti aus dem Bürolocher darin. Ein Mitarbeiter des Grafikbedarfladens hatte das Spiel mitgespielt und noch eins draufgesetzt.

Freilich wurde der Lehrling erneut losgeschickt, eine andere Größe zu holen. Eine Kollegin – sie arbeitet in der Druckvorstufe einer mittelständischen Druckerei – erzählt, das gebe es noch heute. Da würden die Drucker-Azubis – pardon, heute heißen sie Medientechnologen – aus dem Drucksaal in die Vorstufe geschickt, um einmal Rasterpunkte zu holen. Und natürlich bekommen sie auch dort Papier-Konfetti aus dem Locher. Der Rest ist auch der gleiche wie früher: falsche Größe, erneutes Losschicken, um sie in der richtigen Größe zu besorgen, jetzt in die Buchbinderei.

Azubi-Verarsche. Wir lachen gerade darüber. Rasterpunkte kaufen, ein WLAN-Kabel kaufen, den unterbelichteten Schülerpraktikanten zum Einkaufen schicken und ihm auftragen, er solle nach Haumichblau fragen, das gäbe es nicht im Regal, er müsse danach fragen. Lustig oder auch nicht lustig, dieses Verarschen Unwissender, die es später, wenn sie selbst zum Kreis der Wissenden dazugehören, an die nächste Generation weitergeben. Gerade haben wir uns ziemlich darüber amüsiert. Lustig ist es trotzdem nur mit Abstand oder wenn man darüber redet, ohne konkrete Personen im Sinn zu haben.

Späßken – wie man im Westfälischen sagt –, die früher vielleicht ganz gut in die Arbeitswelt passten. Damals™, als alles noch in ruhigeren, weniger effizienten, oft autoritäreren Bahnen und mit größerer sozialer Kontrolle verlief. Damals™ mögen diese Späßken gepasst haben, als die Arbeit noch körperlich anstrengender war, die Mitarbeiterzahl größer und die Arbeitsdichte deutlich geringer, so dass ein Lehrling Stunden damit verbringen konnte, Rasterpunkte zu besorgen. Heute passt es nicht mehr, so meine Schlussfolgerung, nachdem ich etwas länger über dieses Rasterpunkte kaufen nachgedacht habe. Es passt nicht mehr dazu, wie wir uns heute den Umgang miteinander idealer Weise vorstellen. Nicht einmal als Konter auf pubertäres Verhalten.

Heute haben wir die hochverdichtete Arbeitswelt mit zunehmender Individualisierung, basierend auf Marktgesetzen, Konkurrenz – mit deutlich weniger kollegialen Korrektiven, was Charakter und insbesondere problematische Verhaltensweisen anbelangt. Und heute haben wir Erkenntnisse über Traumatisierungen, das Entstehen von Mobbing und die Überzeugung, dass es gut ist, Dinge demokratisch zu gestalten – auch wenn diese Überzeugung noch nicht im Handeln umgesetzt ist, so ist sie doch zumindest im Wissen vorhanden. Bestimmte Dinge passen da nicht mehr. Zum Beispiel, Kriege zu führen. Oder Azubi-Verarsche im größeren Stil. Auch, wenn es im Nachhinein alle Beteiligten lustig finden. Nennen Sie mich einen Spielverderber, wo ich mich doch vorhin selbst noch köstlich über über die Schilderung des Azubi mit der Dose, »in der die Rasterpunkte aufgelöst sind«, amüsiert habe und mir jetzt der Spaß wegbleibt. Da bin ich gerne Spielverderber. Manche Spiele waren noch nie gut.

rasterpunkte

Die falschen Rasterpunkte werden durch die wahren Rasterpunkte abgebildet.

Helligkeiten bzw. Graustufen werden erzeugt, indem viele kleine Punkte unterschiedlicher Größe nebeneinander platziert werden. Das sind sie, die wahren Rasterpunkte. Jedes gedruckte Bild enthält sie, Millionen, Milliarden. Man kann sie weder weder anfassen noch kaufen.

In jeder Branche scheint es abstrakte Fachbegriffe zu geben, die einem unbedarften Anfänger suggerieren, man könnte sie anfassen, einkaufen, holen, etc. und die seit vielen Jahrzehnten Gegenstand dieser Lehrlings-Verarsche sind.

Ich durfte sie übrigens nicht kaufen und auch nichts anderes besorgen, was es denn gar nicht gibt. Ich kam erst mit den frühen Macs in die Druckerei- und Druckvorstufenwelt. Ich brachte die sogar mit – und erlebte ganz nebenbei das fleißige Rasterpunktholen.