Altenbeken, Oebisfelde, Bebra, Ohligs

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Orte, die Sie vermutlich schon gelesen haben und in denen Sie noch nie waren – es sei denn, Sie wohnen dort. Eisenbahnorte, genauer gesagt: Eisenbahnknoten. Sie bilden mit dem Schienennetz das Rückgrat der Eisenbahn. Es gibt sie bereits seit frühen Reichsbahnzeiten. Die Liste der Eisenbahnknoten ist lang. Einige liegen inzwischen im Ausland, andere gibt es längst nicht mehr und wieder andere sind zwar noch Knoten, allerdings in der überregionalen Wahrnehmung verschwunden, da sie nur noch ohne Halt durchfahren werden.

Was ist so besonders an den Orten mit Eisenbahnknoten? Die größeren fallen praktisch nicht auf. Warum sollen sich in einer Großstadt, in der sich sowieso alles tummelt und kreuzt, nicht auch Eisenbahnen treffen und kreuzen? Das ist nur logisch. Anders ist es mit den Eisenbahnknoten, die Kleinstädte sind und meist irgendwo in der Provinz liegen. Ihre Namen werden oft im gleichen Atemzug mit größeren Orten genannt. Meist ist man nur durchgefahren, höchstens aber umgestiegen.

Altenbeken fällt mir spontan dazu ein, in der Region, in der ich aufwuchs. Oder Oebisfelde, Bebra und Solingen-Ohligs. Gestern sprachen wir über den Ort Oebisfelde und deswegen gibt es jetzt diesen Blogbeitrag. Eisenbahnort, war meine erste Assoziation, Grenzort sodann meine zweite.

Seit Kindertagen schwirren mir diese Ortsnamen im Kopf herum. Niemals war ich dort. Gelesen habe ich sie auf Zuglaufschildern, in Kursbüchern und Fahrplänen. Schon damals faszinierten sie mich, weil sie in einer Reihe mit oft viel bedeutenderen Städten zu lesen waren.

In unserer Familie wurde nicht mit der Bahn gereist. Das machte die westdeutsche Mittelschicht in den 70ern nicht mehr und bei uns erst recht keiner. Alle waren ziemlich Auto-affin und Bahnreisen galt als Synonym für zugige Bahnsteige, unverständliche Lautsprecherdurchsagen, ewiges Warten oder schnelles Rennen nach dem Anschlusszug und sich ein Zugabteil mit fremden Leuten teilen zu müssen. Wie kommod war da das Auto doch. Zum Reisen mit der Bahn bin ich daher erst kurz vor Ende meines Studiums gekommen.

Allerdings war ich als Kind öfter auf dem Bahnhof, denn mein Großvater war Bundesbahnbediensteter gewesen, dort allerdings eher mit Autos befasst, als mit Zügen. Und mein Großonkel war noch im Dienst, als Zugführer. Da wurde dann vorher geschaut, wann der Onkel im Bahnhof war, ihn abgepasst, und immer gab es dort auch noch Bekannte von den Großeltern zu treffen. Die Arbeitsdichte war damals noch nicht so hoch.

Das war also mein kindliches Bahnerlebnis. Statt selbst mit der Bahn mitzufahren, den Onkel im Bahnhof zu treffen und dabei Lokomotiven und große, lange Personenzüge zu bewundern. Dieser Bahnhof ist ein großer und liegt an einer wichtigen Ost-West-Fernbahnstrecke, die schon vor dem ersten Weltkrieg vierspurig ausgebaut wurde. Auf dem Bahnhof gab es immer einiges anzuschauen, und freilich wollten alle Bekannten und vom Sehen her Gekannten von Großeltern und Onkel mir als Kind die großen Lokomotiven, Führerstände von Rangierloks, Bremsen an Güterwagen und so weiter zeigen. Bis bis hin zum Dienstmütze aufsetzen, Trillerpfeife und Kelle inklusive. Hätte es damals Smartphones mit Kameras gegeben, es gäbe mit Sicherheit Bilder davon. Was ich bei diesen Besuchen jedoch nicht erlebt habe, waren Dampfloks. Die gab es zwar damals in Deutschland noch, hier jedoch nur noch selten.

Später, als Schulkind, als ich schon ganz gut lesen konnte und die wichtigsten deutschen Städte vom Hören und Lesen sowie aus dem TV kannte, habe ich mich immer gefragt, wo die Orte sind, die manchmal auf den Zuglaufschildern zwischen richtig großen und bedeutenden Städten zu lesen waren. Auf dem Bahnhof hieß es dann manchmal: Das ist ein D-Zug, der kommt von weit her und fährt schnell. Manchmal auch: Der fährt durch die Ostzone bis nach Berlin.

Die Ortsnamen, die mich so faszinierten, las ich auch in den Zugläufen in den den alten Kursbüchern und Fahrplänen, die ich von Nachbarn bekam, die ebenfalls bei der Bundesbahn arbeiteten. Zum Beispiel Solingen-Ohligs, auf der Strecke nach Köln. Solingen, das war ein Begriff, das stand früher in Westdeutschland auf jeder ordentlichen Schere, aber Ohligs? Das wäre ein Ortsteil, erklärte man mir.

Später, in Studienzeiten in Hannover, war es Bebra, dass ich auf den Zuglaufschildern zwischen den größeren Orten wahrnahm. Oder Oebisfelde, beides Grenzbahnhöfe „in die Ostzone“. Längst wusste ich, es sind eigentlich bedeutungslose Provinzorte. Orte, die eben nur Eisenbahnknoten sind, mit Umsteigebahnhof, mehr nicht. Orte, denen der Eisenbahnknoten dazu verhilft, dass man sie in einem Atemzug mit viel größeren, bekannten Orten nennt oder in eine Reihe schreibt.

Oebisfelde. Zack, da war sie wieder, gestern, die Erinnerung an alte Kursbücher und Fahrpläne. Ich begann, etwas zu Eisenbahnknoten zu recherchieren. Dieses und jenes findet man im Netz dazu. Jeder dieser kleinen Eisenbahnknoten-Orte hat eine Eisenbahngeschichte und heute mindestens einen Verein, der sich darum kümmert und machmal auch ein Buch darüber herausgegeben hat, für Eisenbahn-Romantiker und Schienenjunkies. Schön.
Nur eine Klammer, die das Merkmal des kleinen, unbedeutenden Ortes mit großem, bedeutendem Eisenbahnknoten aufgreift, so etwas gibt es nicht. Kein Coffeetable-Bildband und keine Internetseiten über diese Knotenpunkt-Städte und ihre unterschiedlichen Entwicklungen, wo es doch Regal-Kilometer an Eisenbahnliteratur gibt. Schade.
Lesen wir sie also weiter auf den Zuglaufschildern und Zuganzeigern. – Und das inzwischen auch nur noch bei den nicht so schnell den Zügen, denn ICEs sind Flugzeugkonkurrenz, sie halten nicht in Eisenbahnknoten, die zu einer Stadt gehören, in der nur ein paar 1000 oder ein paar 10.000 Menschen leben.

Ach, vielleicht interessieren Sie ja vielmehr die Orte, nach denen Autobahnkreuze oder Autobahnraststätten benannt sind. Die sind oft genauso unbedeutend. Jeder kennt ihren Namen, nur keiner war schon einmal richtig dort.