Spurensuche in der Ehrensteinstraße
(vormals Otto-Nuschke-Straße)
Im →Mercure Hotel Art schauten wir auf einen Altbau auf der anderen Straßenseite. Ein Mietshaus im Gründerzeitstil, heute ganz schön saniert. Hier in der Gegend muss die Otto-Nuschke-Straße sein, sagte Miz Kitty. Ein Haus, in dem Teile der Familie vor Jahrzehnten einmal lebten. Erkundungsfreudig haben wir am Sonntag Nachmittag schnell herausgefunden, dass diese Straße nach der Wende in ihren alten Namen Ehrensteinstraße erhielt, und dass sie in der Nähe des Leipziger Zoos im Stadtteil Zentrum-Nord liegt – von unserem Hotel gut fußläufig zu erreichen. Vorher ging es zuerst einmal in die andere Richtung zum Frühstücken im →Café Kandler in →Specks Hof. Sehr empfehlenswert, das leckere Frühstück. Hier kann man schön sitzen und die Leute beobachten, wie sie in Specks Hof unterwegs sind. Ich beobachte nacheinander vier Stadtführer, die mit Touristengruppen unterwegs sind. Spannend, diese vier unterschiedlichen Typen, vom älteren Herrn mit Staubmantel bis zur Endzwanzigerin. Leute gucken, sagte eine Hamburger Bekannte früher immer dazu. An Herbst- und Wintertagen könnte ich hier stundenlang sitzen, etwas lesen und immer wieder die Menschen beobachten.
Vom Café Kandler aus dann über den Nordplatz Richtung →Ehrensteinstraße. Die genaue Hausnummer wusste Miz Kitty nicht, wohl aber wo das Haus in etwa liegen müsste. Die Straße wurde Anfang des 20. Jahrhunders angelegt. Hier befinden sich zum Teil großbürgerliche Villen, zum Teil gutbürgerliche Mietshäuser und dazu etwas Reihenbebauung der 60er. Vom Baustil her kann man die Straße klar erkennbar in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg und bis ca. 1920 einordnen. Architektenhäuser, jedes eigen. Ich merke diesen Häusern teilweise schon den Geist der 20er Jahre an, weg von Prunk und übermäßiger Großzügigkeit, hin zur sachlichen Kompaktheit. Jedoch sind sie ausgeführt mit den architektonischen Elementen der späten Gründerzeit. Die Ehrensteinstraße wurde 1963 in Otto-Nuschke-Straße umbenannt und erhielt 1992 ihren alten Namen Ehrensteinstraße zurück. Insgesamt eine noble Gegend. Die besseren Häuser sind heute fast alle schön saniert und die Lücken durch Neubauten geschlossen, zwei gerade in Bau. Gentrifizierung à la Leipzig. Ich mag ja diese Viertel mit schönen Altbauten, und wenn ich in nach Leipzig ziehen würde, wäre dieses zentrumsnahe Quartier eine Wohnungssuche wert.
Zuerst liefen wir die Ehrensteinstraße nach Norden, wobei schnell klar war, dass es die falsche Richtung ist, um das gesuchte Haus zu finden. Trotzdem gingen wir weiter, der weil wir ja gerne Straßen, Häuser und Höfe erkunden. Immer etwas mit dem Hintergedanken, vielleicht doch noch ein entwohntes Haus zu finden, das gerade rekonstruiert wird und offen ist, wo wir Fotos und Studien machen können, wie man hier in vergangenen Zeiten gelebt hat. Die kurze Verlängerung der Ehrensteinstraße über die Georg-Schumann-Straße – von der man das Gerippe eines Gasometers sehen kann – ist die Mechlerstraße. Laut →leipzig-lexikon.de gibt es sie seit 1891. Sie ist etwas älter als die Ehrensteinstraße, was man an den Häusern auch deutlich merkt. Mietshäuser der Gründerzeit in Blockbebauung, mit der typischen Durchfahrt zum Hof. Heute bewohnbar bis gut saniert. Das Haus Mechlerstraße 4 ist leer und die morbide Tür offen, das Grundstück Mechlerstraße 6 verwildert und zugänglich, mit einer bröckeligen Werkstatt oder Halle darauf, auf die man eigentümliche Lichthauben aufgesetzt hat, die wie kleine Garagen oder Wintergärten anmuten. Schon etwas skurril. Nach ein paar – ok, zugegeben ein paar mehr – Fotos gehen wir weiter. Eine Frau mit Kittelschürze aus dem Haus gegenüber beobachtet uns. Ein bemerkenswertes Kleidungsstück hat sie an, das es sowohl in Ost und West gab, und das beiderorts die Vereinigung nicht mehr lange überstanden hat. Wir lassen uns von neugierig schauenden Blockwarten nicht beeinflussen und treten durch die offene Tür der Nummer 4 in den Durchgang zum Hof. Die Tür lässt sich nur etwa 50 cm öffnen, da ein alter Kühlschrank als Sperre dienen soll. Innen liegt Abbruchmaterial, und es gibt eine fast zwanghaft ordentlich aufgereihte Sammlung aus Weinflaschen. Aha, ein akkurater Mensch räumt hier also auf. Auf der Hofseite des Durchgangs ist ein Baum fast in die Hauswand gewachsen. Der Garten ist verwildert, was ja schon vom Nachbargrundstück zu sehen war. Das war dann auch schon unsere Erkundung in der Mechlerstraße. Das Haus ist hinten verschlossen, so wie es sich für eine gute Baustelle gehört. Also keine weiteren Erkenntnisse über Wohnungsgrößen, Innenausbauten, DDR-Hinterlassenschaften und was man sonst noch in leeren Altbauten vor der Sanierung und Rekonstruktion findet. Als wir wieder auf die Straße treten, beobachtet uns IM Kittelschürze immer noch.
Zurück durch die Ehrensteinstraße nach Süden in Richtung City finden wir das gesuchte Haus. Ein freistehendes, großbürgerliches Mehrfamilienhaus aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Vermutlich einst von vermögenden Menschen gebaut, gibt es hier heute Kanzleien, Büros und Wohnungen, vermutlich mit nach heutigen Verhältnissen genauso vermögenden Menschen darin. Miz Kitty erinnert sich schwach an das Treppenhaus, das man durch die Eingangstür etwas sehen kann.
Spurensuche in der Otto-Nuschke-Straße. Spur gefunden.