Ironblogger-Treffen

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Am Montag hatten wir das erste feucht-fröhliches Treffen der →Ironblogger Berlin in diesem Jahr. Jeder, der es nicht schafft, einen Blogpost pro Woche zu schreiben, zahlt 5 Euro in die Kasse ein. Alle paar Monate treffen wir uns dann face-to-face und das Bier oder natürlich auch andere Getränke werden aus der Kasse bezahlt. Eine schöne Idee, die sich inzwischen in mehreren Städten durchgesetzt hat. Man lernt andere Blogger persönlich kennen und deren interessante Blogs. Mehr zu den Regeln und die Links zu den einzelnen Chapters gibt es auf der →Ironblogger-Website. Mit meinem Blog @netznotizen gehöre ich zu den Berliner Ironbloggern. Zwei Vorteile bringt mir die Mitgliedschaft dort: Einerseits ist es schön, andere Blogger face-to-face kennen zu lernen, die man bisher nur gelesen hat oder neue Blogger, die man noch gar nicht kennt, kennen zu lernen. Andererseits hilft es mir, die @netznotizen auch in Zeiten, in denen ich viel zu tun und eigentlich keine Energie zum Schreiben habe, regelmäßig weiter zu pflegen.

Jedem, der den Anspruch hat, regelmäßig zu bloggen, andere Blogger kennen lernen möchte und ein wenig Druck braucht, dann tatsächlich regelmäßig zu schreiben, kann ich nur empfehlen, sich den Ironbloggern anzuschließen. Inzwischen gelingt es mir gut, in den @netznotizen mindestens einen Blogpost in der Woche zu schreiben. So musste ich am Montag nichts in die Kasse einzahlen. Diese war jedoch recht gut gefüllt ist, und wir sind – naja, einige zumindest – etwas abgestürzt. Aber, schön war’s. Wie schon zuvor trafen wir uns wieder im →Hops & Barley in Friedrichshain. Für die Organisation der Berliner Ironblogger hier einen herzlichen Dank an Nicole, die unter →antischokke.de bloggt.

»Ich erzähle euch mal, wie toll das da ist«

BLOGHYPE

Reiseblogger ist sicherlich eines der Wörter, die ich in der letzten Woche oft gebraucht habe. Dieser Art des Bloggens, den Hintergründen und Verflechtungen wollte ich auf die Spur kommen und besuchte dazu vorgestern die ITB. Klare Erkenntnis: Sie sind hype, die Reiseblogger. In 2012/2013 haben die Touristik-Unternehmen, Destinationen und Ausrüster die Blogger entdeckt.

HOLZMEDIEN

In den Redaktionen der Holzmedien gibt es Reisejournalisten, die den Reiseteil der Zeitung regelmäßig füllen. Ganz ehrlich sind sie oft richtig schlecht, besonders wenn sie für Lokal- und Regionalzeitungen schreiben. Ihre Artikel werden bei heutigem Informationsangebot kaum noch als Mehrwert empfunden. Der Reiseteil schrumpft langsam und sicher in Umfang und Qualität, wie manchmal auch die ganze Zeitung.

HINTERGRÜNDE

Grob gesagt funktioniert es so: Touristik-Unternehmen oder Destinationen laden über ihre PR-Agenturen zu sogenannten Presse-Reisen ein. Ziel ist, dass die mitfahrenden Journalisten darüber schreiben. Ein paar Unwägbarkeiten sind natürlich dabei, der Journalist muss am Leiter des Reiseressorts vorbei, und vielleicht wird sein Text einfach nicht gedruckt. Deswegen nimmt man am liebsten Redaktionsleiter mit, da die gute Platzierung der Destination im Reiseteil dann gesichert ist. Einem geschenkten Gaul – sprich einer Presse-Reise mit diversen Annehmlichkeiten – schaut eben keiner ins Maul und schreibt dann auch nicht über die faulen Zähne.

Dieses System von Presse-Reisen funktioniert in Zeiten von Internet, Facebook und sterbenden Holzmedien immer noch, bröckelt aber ziemlich. Journalisten muss man etwas bieten, denn auch die Konkurrenz bietet Presse-Reisen an. Und der gedruckte Text ist zwei Tage später im Altpapier.

Gleichzeitig bricht das System Reisebüro zusammen. Man muss nur abzählen, wo früher in der Großstadt überall ein Reisebüro war und wo heute noch eines ist. Wer bucht noch eine Reise im Reisebüro? Die, die es noch gibt, sind inzwischen weit davon entfernt, dass Mitarbeiter dort schon einmal in den wichtigsten Destinationen waren und ernsthaft beraten könnten.

Die klassischen Kontaktkanäle der Touristiker und Destinationen zu ihren Zielgruppen versanden also zunehmend. Internet und Apps sind hinzugekommen, können jedoch die persönliche Ansprache kaum ersetzen. Was also tun?

VIRALES MARKETING & CROWDSOURCING

Entdeckung der Blogger. Immer wieder gibt es meist junge Globetrotter, die über ihre subjektiven Reiseerlebnisse bloggen. Oft nur aus dem Grund, die Daheimgebliebenen auf dem Laufenden zu halten. Oder aus Spaß am Schreiben und Fotografieren. Engagierte Laien eben, jedoch oft nicht unbegabt. Denn wer mit Anfang 20 Weltreisen macht, gehört nicht zur Minderintelligenz. Manchmal können sie besser schreiben als der Reisejournalist der Lokalzeitung. Man entdeckt ihr Potential, lädt sie ein, finanziert ihnen die Reisekosten, bietet ihnen Presse- oder Blogger-Reisen an, rüstet sie gratis mit Fotomaterial aus, und schnell ist das Spiel mit dem geschenkten Gaul und dem Artikel über die schönsten weißen Zähne desselben verstanden. Blogbeitrag folgt garantiert. Den lesen zwar nicht sofort so viele, er verschwindet jedoch im Gegensatz zum Reiseteil der Zeitung nicht nach zwei Tagen im Altpapier, sondern steht allzeit bereit im internet, wird durch Google gefunden, etc. Von diesem Sponsoring kann sicher keiner leben, sich aber wohl von Destination zu Destination hangeln, Kost und Logis oft frei. Gegen Blog-Artikel, wohlmeinende Blog-Artikel natürlich.

REISEBLOGGER

Es gibt durchaus eine ganze Reihe Reiseblogger, die dieses Spiel letztlich gekaufter Beiträge – ich nenne sie mal informelle Auftragsarbeiten – nur sehr moderat mitspielen. Vielleicht, weil sie kompetenzmäßig etwas vorzuweisen haben, weil sie Storytellung und Content-Arrangement ganz gut beherrschen, weil die Story von den Zähnen des Gauls tatsächlich rockt, wenn sie die erzählen. Weil sie es nicht nötig haben, sich kaufen zu lassen zudem offen angeben, dass sie zur Reise eingeladen wurden, über die sie schreiben.

FAULE ÄPFEL IM SACK

gibt es überall und schaden dem ganzen Sack. Auch bei den Reisebloggern. Die beschädigen die Reiseblogosphäre, wenn nicht sogar die ganze Blogosphäre. Erkennungsmerkmal: In Ich-Form nachgebetete Pressetexte mit Pressefotos und gesponsorten Links dazwischen, null Storytelling-Charakter. Keine Angabe, wo in informeller Auftragsarbeit über gesponorte Reisen geschrieben wird. Dafür jede Menge Links und im Impressum vielleicht noch Mediadaten mit Klickraten. Bitte, wer möchte so ein Blog lesen?

KEINE SELBSTREGULIERUNG

An eine Selbstregulierung hinsichtlich – literarischer und fotografischer – Qualität glaube ich nicht. Dafür steht die Auftraggeberseite im Weg. Großunternehmen, oft mit Marketingmanagern, deren Qualitätskriterien nicht Storytelling und individuelle Reiseerlebnisse sind, sondern Klickraten, SEO und der ständige Focus auf die Destinationen und Angebote des Unternehmens. Wie sagte Mario Köpers, Executive Director Unternehmenskommunikation der TUI, in einer Diskussionsrunde zu Reisebloggern vorgestern auf der ITB: Der Blogpost über den Töpfer aus Timbuktu ist uninteressant, der Blogpost über das Pura Vida Ressort auf Mallorca dagegen sehr. Da wissen wir, worüber bald mehrere schreiben, und auch, warum gerade darüber.

GETÄUSCHT

Bei bestimmten publizistischen Angeboten merken wir ganz schnell, wenn Sponsoring im Spiel ist. Beim Automagazin oder beim Computermagazin zum Beispiel. Dort ist von vornherein klar, dass die Geräte kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Und wenn viele Hersteller ihre Produkte für Tests und Reportagen zur Verfügung stellen, relativiert es sich natürlich, stromlinienförmig den Sponsoren nach dem Munde zu schreiben.

Bei Blogs ist die Wahrnehmung eine andere. Blogs sind publizistische Do-it-yourself-Angebote mit meist recht individuellen und subjektiven Inhalten. Mit einer One-Man-Show dahinter. Wir lesen Blogs, um an Erlebnissen der Menschen dahinter teilzuhaben. Weil wir spannend finden, was dieser Blogger schreibt, was er erlebt, was ihn bewegt. Und wenn wir dann plötzlich – vielleicht zufällig – feststellen, dass dieser Blogger positiv über etwas schreibt, ohne offen zu legen, dass er es geschenkt bekommen hat, wenn er lobend über eine Destination schreibt, ohne offen zu legen, dass ihm Reise und Aufenthalt bezahlt worden sind, dann fühlen wir uns zurecht ziemlich getäuscht. Ha, habe ich immer mal wieder mitgelesen, was der für Erlebnisse in der großen weiten Welt hat. Und jetzt stellt sich raus, dass war ein informeller Auftragstext, und die Nikon Dxy, mit der er die Bilder gemacht hat und von der er so positiv schreibt, die ich schon in meiner engeren Wahl hatte, die hat er geschenkt bekommen. Aha, auch ein informell positives Platzieren der Kamera, gesponsort von Nikon. Bitte, wer lässt sich denn gern so täuschen?

ANTI–FAKE–KODEX

Dass diese Täuschung ganz schnell nach hinten kippt, wissen Reiseblogger selbst sehr gut. Nicht umsonst haben sie sich den Reiseblogger-Kodex verordnet. Ob den nun alle einhalten und ob man das wirklich prüfen kann, sei mal dahingestellt. Außerdem, nehmen wir mal an, da schreibt jemand kodex-vorbildlich zu Beginn seines Artikels, er sei durch die Destination eingeladen worden. Möchte ich das dann noch lesen? Möchte ich einen Text lesen, der unbewusst schnell in eine Richtung abgleitet, ähnlich wie man manchmal zähneknirschend eine Referenz für jemand schreibt, der einen im Gegenzug großzügig bedenkt? Das muss dann schon ganz große Story-Qualität sein. Gibt es zweifellos, aber wie oft?

PFERDE SIND SCHNELL TOT

Dieses virale »Ich erzähle euch mal, wie toll das da ist«-Undercover-Promoten einer Destination oder eines Touristik-Angebotes kann ganz schnell der Hype von gestern sein. Vor allem auch, weil Blogs erst ab den mittleren Bildungsgraden aufwärts gelesen werden, die solche Täuschungen schnell erkennen. Das Pferd ist dann schnell tot. Genauso wie heute keiner mehr Scripted Reality TV mehr sehen will.

Ehrlich gesagt finde ich das für die oben beschriebenen Reiseblogger und die Destinationen, die diese informellen Auftragsarbeiten fördern, nicht schlimm. Es gibt doch keinen Grund, dass wir uns diese Pseudo-Erlebnisse unterjubeln lassen. Eigentlich gut, wenn sich so etwas schnell totläuft.

Und um Euch guten Reiseblogger, die Ihr gut Schreiben könnt und das Storytelling beherrscht, mache ich mir keine Sorgen. Eure Texte werden gebraucht, auch im Tourismusbereich. Unerheblich, in welchen Medien die dann publiziert werden. Gesponsorter Reiseblogger ist ohnehin kein Job für Menschen über 35. Ok, ab 55 kann man das dann wieder machen, aber ohne irgendwelche Informellen Gegenleistungen für Einladungen, versteht sich.

INDIKATOREN

Auffällig finde ich in vielen Reiseblog-Beiträgen – verglichen mit Urlaubsberichten in anderen Blogs –, dass dort Erlebnisse auf der Hinfahrt und Rückfahrt kaum Thema sind, ebenso nicht größere Pannen (Zug verpasst, Krankheit, verspätet zum Flughafen, etc.). Das sind doch gerade prägende Urlaubserlebnisse. In vielen Reiseblogs Fehlanzeige. Genauso fehlen oft Bilder von Partnern und Mitreisenden. Ok, wenn jemand eingeladen ist und Hinreise sowie Abreise stramm durchgebucht sind, kann er nichts schreiben über Erlebnisse während dieser Zeit? Und zur Blogger-Reise wird man nicht als Pärchen eingeladen. Da bildet die Story vom demolierten Mietwagen auf Island, Ausreiseverbot, etc. schon eine wirkliche Ausnahme.

LESEN SIE SELBST

Das waren einige Ansichten zum System Reiseblogger. Unabhängig und subjektiv, so wie sich das für einen Blogger gehört. Machen Sie sich selbst ein Bild, googlen Sie nach Reiseblogs oder Reiseblogger und lesen Sie dort.