Die bewusste Zufälligkeit

Darüber musste ich im Kunstunterricht ein Referat halten. Obwohl mir der Kunstunterricht recht viel Spaß machte und ich dort immer ganz gut Erfolg hatte, gelang mir dieses Referat nur mittelmäßig. Mich interessierte damals der praktisch-bildende Bereich des Kunstunterrichts mehr als theoretische Betrachtungen und reden über Kunst. Das Thema hat mich jedoch seinerzeit angefixt und die bewusste Zufälligkeit spielt immer mal wieder eine Rolle bei mir.

Vorgestern hatte ich die Aufgabe, in alter Kanzleischrift ein fiktives, historisches Dokument zu erstellen. Also ein passendes Schreibgerät gesucht und bis die Tinte richtig fließt, muss natürlich etwas probiert werden. Sie kennen das bestimmt von ihrem Füllfederhalter. Bis er richtig schreibt, dauert es etwas. Wenn man die Tinte schnell in die Spitze treiben will, nimmt man den Stift und macht eine ruckartige, von sich weg weisende Handbewegung. Die Schreibflüssigkeit bewegt sich so schnell zentrifugal Richtung Feder. Damit man nicht in die Gegend kleckst, wickelt man zuvor gewöhnlich ein Papiertaschentuch oder einen alten Lappen um die Feder. Letzteres hatte ich vorgestern nicht zur Hand, und nahm statt dessen einfach ein Blatt Papier. Mit ruckartiger trieb die Tinte zur Feder – und kleckste freilich auch ins Papier. Ein schneller Vorgang. Die Tinte floss gut, und ich konnte loslegen. Dem Blatt Papier, das ich um die Spitze gewickelt hatte, schenkte ich keine Beachtung und legte es zerknüllt in den Altpapierkasten. Der besseren Ordnung wegen – geknülltes Papier trägt ziemlich auf und macht sich in der Rundablage nicht gut – faltete ich es vorhin auseinander und glättete es. Ein filigran-skurriles Geflecht aus Rinnsalen und Klecksen sprang mir ins Auge. Da war sie wieder, die Zufälligkeit. Zu schade, dieses wegzuwerfen. Also gescannt, etwas nachbearbeitet, in ein Format gebracht. Digitaler Rahmen drum. Die Zufälligkeit der Tinten-Rinnsale, bewusst arrangiert und in Szene gesetzt. Mindestens ein individuelles Bild für’s Blog und für Facebook ergibt es doch.

Freilich, wem es Symmetrien angetan haben, kann auch nach Rohrschach klecksen und knicken und zu tieferen Erkenntnissen kommen – oder einfach am nächsten Silvester Blei gießen.

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