8 Gründe, im Vortragsraum vorn zu sitzen.
Letztens besuchte ich eine Veranstaltung mit mehreren Vorträgen. Ich freute mich auf interessante Referenten und Themen, was eigentlich normal ist bei einer Veranstaltung, die ich intrinsisch motiviert aus Interesse besuche. Wir waren etwas zu früh. Im Vortragsraum saßen gerade mal eine Handvoll Menschen. Freie Platzwahl also. „In die erste oder in die zweite Reihe?”, sagte ich fragend zu meiner Begleitung. Nein, das wäre viel zu weit vorn. Nach einigem hin und her und nachdem ich erklärt hatte, dass es für mich gute Gründe gibt, vorn zu sitzen, zogen wir in die zweite Reihe.
Das Phänomen, dass sich Zuhörer möglichst weit weg vom Referenten hinsetzen, ist bekannt. Wirkliche Gründe dafür konnte ich in meiner kurzen Internet-Recherche zu diesem Thema nicht finden. Bemerkt und diskutiert wird es aber durchaus, zum Beispiel hier oder hier.
„Vorn sitzen die Streber”, heißt es in einem Thread des Internet-Portals gutefrage.net. Ist es ein Trauma der Schulzeit, das Menschen dazu bewegt, sich im Vortragsraum so hinzusetzen, dass sie weder optimal den Redner noch seine Präsentation wahrnehmen können. Das ist doch widersinnig. Oder verkriechen sie sich auf auf die hinteren Plätze, um den Vortragenden nicht abzulenken, ihm gegenüber gar nicht in Erscheinung zu treten und ihn in ein Loch reden zu lassen. Das ist genau so widersinnig, schließlich hält er den Vortrag für sein Publikum, freiwillig und mit Motivation (vom Vortrag stotternder Examenskandidaten einmal abgesehen). Was gibt es also für einen Grund, sich bewusst auf Abstand hinten hin zu setzen? Oder in die unscheinbare Mitte, dort, wo man später, wenn sich der Vortragsraum gefüllt hat, vielleicht von raumgreifenden Menschen umringt ist, die einem die Luft zum Atmen, mindestens aber die Sicht nehmen. Mein Platz ist dort nicht. Rational gibt es keinen Grund für dieses Dahintenhocken. Es sei denn, Sie wollen untertauchen. Nur, ein Vortrag ist kein guter Ort dafür. Ein dunkles Kino oder Theater wäre dafür doch der bessere Ort.
Habe ich die Platzwahl, ist die erste oder die zweite Reihe meine – und vielleicht demnächst auch Ihre, nachdem Sie meinen Text gelesen haben. Im Hörsaal mit einer tribünenartigen Bestuhlung wird es nicht die erste oder zweite sein, dort aber bevorzugt immer die Reihe, in der ich auf Augenhöhe mit dem Referenten sitze. Vorn ist mein Platz jedoch immer, denn dafür gibt es gute Gründe. Zusammengefasst:
1.
Wenn ich eine Veranstaltung freiwillig und aus Interesse besuche, möchte ich möglichst viel davon mitnehmen und dem Vortrag sowie der digitalen Präsentation optimal folgen können. Das funktioniert vorn besser.
2.
Sitzt man näher am Geschehen, bekommt man in der Regel mehr Details mit. Auf hinteren Plätzen ist das suboptimal. Kleine Schrift einer Präsentation kann manchmal nur schwer entziffert werden. Allgemein ist der Konzentrationsaufwand hinten höher, vor allem, wenn der Vortragsraum gut besetzt ist.
3.
Große Menschen, die vor mir sitzen, versperren mir die Sicht zum Redner und zu den Details am unteren Rand einer Bildschirmpräsentation, manchmal auch zu beidem.
4.
Störgeräusche (welcher Art auch immer: in der Tasche kramen, flüstern, hin- und herrutschen) sind erfahrungsgemäß im mittleren und hinteren Bereich eines Vortragsraums viel größer als vorn.
5.
Habe ich nach dem Vortrag eine Frage oder Anmerkung und möchte Kontakt mit dem Vortragenden aufnehmen, ist der Weg kürzer, wenn ich vorn sitze. Ich bin näher dran und schneller im inneren Kreis der Fragenden. – Oder ist das schon „Streber“? Egal, ich habe den Ehrgeiz, dem Vortrag gut folgen zu können und ggf. auch mit dem Referenten und anderen in Diskussion darüber zu treten.
6.
Auf Veranstaltungen, auf denen man sich in irgendeiner Weise, vielleicht auch nur vom Sehen, kennt, nimmt das Publikum sich natürlich gegenseitig war. Der Platz in der grauen Menge der Mitte oder in der vorletzten Reihe ist dann suboptimal.
7.
Verteilte Handouts erreichen die letzte Reihe manchmal gar nicht mehr. Entweder weil es nicht genug sind, oder weil sie vorher steckenbleiben. Griffmuster und Demo-Modelle kommen hinten erst an, wenn der Vortragende thematisch längst woanders ist.
8.
Du bist, wo du sitzt. Das gilt nicht nur im Meeting, sondern auch im Vortragsraum – und allgemein in jedem Publikum. Aus eigener Erfahrung: Setze ich mich in die erste oder zweite Reihe, werde ich viel eher als interessiert und dazugehörig wahrgenommen, wodurch sich positive Nebeneffekte ergeben. Der Kontakt zum Referenten ist schneller und besser, andere Zuhörer kommen eher und schneller auf mich zu, um sich zum Beispiel zu vernetzen oder nur ein paar Smalltalk-Worte zu wechseln. Ein Glas habe ich auch meist schneller in der Hand als Hinterbänkler, vermutlich, weil ich von den Damen mit den Sekt-und-Saft-Tabletts schneller und deutlicher wahrgenommen werde.
Acht gute Gründe also, nicht nur bei ARD und ZDF vorn zu sitzen, sondern auch im Vortragsraum.
Quelle und Urheber des Bildes:
Blick in den Vortragsraum der Stiftung Demokratie Saarland Architektur & Interior Design: Wolfgang Rost, Dipl.-Ing.